created: 13.8.2025 | [updated](https://git.jochen-hanisch.de/jochen-hanisch/research/): 16.8.2025 | [published](https://zenodo.org/records/16887477): 16.8.2025 | [Austausch](https://lernen.jochen-hanisch.de/course/view.php?id=4) | [[Hinweise]] **Beherrschen zwischen Rechtsnorm, medizinischer Praxis und pädagogischer Bestimmung - Eine systemtheoretische Operationalisierung am Beispiel der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung** # Abstract Der Begriff Beherrschen wird im Kontext der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung rechtlich zentral gefordert (§ 2a NotSanG) und prüfungstechnisch adressiert (§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV), bleibt jedoch pädagogisch undefiniert. Die vorliegende Arbeit schließt diese Leerstelle, indem sie Beherrschen als systemtheoretische Operation fasst: Die kleinste, nicht weiter teilbare Einheit professioneller Handlungsausführung, in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung simultan und untrennbar verschränkt auftreten. Auf dieser Grundlage wird eine juristisch-didaktische Brücke geschaffen, die den offenen Rechtsbegriff in eine kompetenzorientierte, beobacht-, prüf- und dokumentierbare Kategorie überführt. Die Operationalisierung erfolgt über die sechs in § 17 Abs. 2 NotSan-APrV normierten Prüfungsperspektiven („Linsen“) und wird in ein konsistentes Mapping aus Konstrukt → Indikatoren → Nachweisformen → Bewertung übersetzt (u.a. OSCE/OSPE, strukturierte Fallvignetten, Entscheidungsprotokolle, Audit-Trail). Damit wird der Nachweis „erlernt und beherrscht“ nicht ergebnis-, sondern operationsbezogen geführt; Abweichungen von Pfaden sind begründungs- und evidenzpflichtig statt pauschal sanktionsbewehrt. Die Arbeit zeigt die Konsequenzen für Prüfungsdesign, Curriculumentwicklung, Qualitäts- und Rechts­sicherheit (Standard-Setting, Kalibrierung, Inter-Rater-Reliabilität) und eröffnet ein Forschungsprogramm zur psychometrischen Güte (Validität, Reliabilität, Fairness) sowie zur Einsatzpassung. Insgesamt wird Beherrschen von einer diffusen Zuschreibung zu einer prüfmethodischen Kategorie, die rechtlich anschlussfähig, pädagogisch tragfähig und im realen Einsatz feldtauglich messbar ist. # Einleitung Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Feststellung, dass der Begriff Beherrschen im Kontext der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung zwar in Gesetz, Verwaltung und Praxis flächendeckend verwendet wird, bislang jedoch über keine pädagogisch belastbare Definition verfügt. Das Erkenntnisinteresse liegt darin, diese Leerstelle systematisch zu schließen, den Begriff rechtskonform an NotSanG § 2a und NotSan-APrV § 17 Abs. 2 anzubinden und zugleich beobacht-, prüf- und dokumentierbar zu machen. Im vorliegenden Text wird bewusst eine abstrakt-theoretische Perspektive der Bildungswissenschaft eingenommen. Die dargestellten Konkretisierungen (z.B. Implementierungspfade, Indikatoren, Prüfungsformate) sind nicht als praxisnahe Handlungsanleitungen zu verstehen, sondern als logische Folgerungen aus der theoretischen Konstruktion des Begriffs Beherrschen. Ihre Funktion liegt darin, die Anschlussfähigkeit der abstrakten Definition an ein hochreguliertes Feld (NotSanG, NotSan-APrV, Erlasse, Empfehlungen) zu vermitteln und zu zeigen, wie eine systemtheoretische Fassung von Beherrschen normativ wirksam werden kann. Damit bleibt der Text auf der Ebene der Theorie verankert, auch wenn er exemplarisch auf Praxis- und Rechtsbezüge verweist. # 1 Definition Beherrschen bezeichnet die kleinste, nicht weiter teilbare Operation professioneller Handlungsausführung, in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung simultan und untrennbar verschränkt auftreten. Diese Operation ist auf die zielgerichtete Überwindung kontextrelevanter Transformationsbarrieren ausgerichtet und so strukturiert, dass Planung, Begründung und Durchführung beobacht-, prüf- und dokumentierbar sind. Im Kontext der Notfallsanitäter:innen‑Ausbildung bedeutet Beherrschen die evidenzbasierte, patienten‑ und situationsangemessene Ausführung dieser Operation. Nachweis, Beobachtung und Bewertung erfolgen anhand der sechs in § 17 Abs. 2 NotSan‑APrV definierten Prüfungsperspektiven: 1. Einschätzung der Gesamtsituation 2. Erstellung einer Arbeitsdiagnose 3. Umgang mit medizinisch‑technischen Geräten 4. Durchführung von Sofort‑ und erweiterten Versorgungsmaßnahmen 5. Dokumentation 6. Herstellung der Transportbereitschaft und Übergabe Diese Spezifizierung erfüllt die Anforderung des § 2a NotSanG (Nachweis „erlernt und beherrscht“) und bildet die sechs prüfungsrelevanten Perspektiven der NotSan‑APrV vollständig ab. Sie fungiert damit als juristisch‑didaktische Brücke zwischen offenem Normbegriff und bewertbarer Kategorie. # 2 Herleitung In dieser Herleitung wird der Begriff Beherrschen aus unterschiedlichen Perspektiven erschlossen und in einen kohärenten begrifflichen sowie normativen Rahmen überführt. Ausgangspunkt ist die etymologische Herkunft des Begriffs, die seine ursprüngliche Bedeutung und Wortbildung klärt. Darauf aufbauend wird der semantische Wandel nachgezeichnet, der zur heutigen fachsprachlichen Verwendung geführt hat. Weiterhin folgt die verwaltungsrechtliche Herleitung, die den Einzug des Begriffs in gesetzliche und untergesetzliche Regelwerke dokumentiert. Abschließend werden diese Dimensionen in einer Synthese zusammengeführt, die den Boden für eine pädagogisch-didaktische und prüfungstechnische Operationalisierung bereitet. Durch diese schrittweise Herleitung wird deutlich, wie ein bislang unscharfer und in der Praxis heterogen ausgelegter Begriff präzisiert werden kann, ohne seine Anschlussfähigkeit an bestehende Rechts- und Ausbildungssysteme zu verlieren. ## 2.1 Etymologische Begriffsbestimmung Etymologisch ist Beherrschen eine Präfigierung des Verbs „herrschen“ mit dem transitivierenden Präfix „be-“ und bedeutet ursprünglich „Herrschaft über etwas/jemanden ausüben“, also „unter seine Herrschaft bringen“ (Kluge, 2011; Pfeifer, 1993). Das Grundverb „herrschen“ ist seit dem Mittelhochdeutschen als „hërreschen“ belegt und geht auf althochdeutsch „herriscōn“ zurück, ein denominales Verb zu „herro“ („Gebieter, Hausherr“) mit dem verbbildenden Suffix -iscōn (Kluge, 2011). Der Substantivstamm „Herr“ (ahd. „herro“) bezeichnete den Übergeordneten/Hausherrn und ist etymologisch von „Heer“ (ahd. „heri“ = Kriegsvolk) zu trennen; erstere Bezeichnung verweist, wahrscheinlich als alte Komparativbildung, auf das Erhabene/Übergeordnete (Kluge, 2011; Pfeifer, 1993). Die Präfigierung mit „be-“ ist im Neuhochdeutschen ein produktives Wortbildungsmittel zur Bildung transitiver Verben aus intransitiven oder denominalen Stämmen; im Fall von „be-herrschen“ markiert sie die Ausrichtung der Herrschaftshandlung auf ein explizites Objekt („etwas/jemanden beherrschen“) im Unterschied zu „herrschen“ („über/wo herrschen“) (Kluge, 2011). In dieser rein etymologischen Lesart bezeichnet Beherrschen mithin die Ausübung von Herrschaft/Kontrolle über einen Gegenstand oder Bereich, ohne bereits eine fachsprachliche oder pädagogische Präzisierung zu implizieren (Pfeifer, 1993). ## 2.2 Semantischer Wandel und fachsprachliche Verwendung Im Übergang vom Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche erfuhr der Begriff Beherrschen eine semantische Ausweitung und Verschiebung. Während er in seiner ursprünglichen, etymologischen Bedeutung primär die Ausübung direkter Herrschaft über Personen, Territorien oder [[Ressourcen]] bezeichnete, entwickelte sich im Laufe der Neuzeit eine metaphorische Übertragung auf Handlungsbereiche, die nicht durch formale Herrschaftsstrukturen geprägt sind (Dudenredaktion, 2020). Beherrschen wurde zunehmend im Sinne von „etwas vollständig und sicher ausführen können“ verstanden, bspw. eine Technik, ein Handwerk oder eine Sprache. Diese Bedeutungsverschiebung veränderte den Fokus von der Machtausübung hin zu einer Kompetenzzuschreibung, bei der die überlegene, sichere Handhabung einer Sache im Vordergrund steht (Pfeifer, 1993). In der Fachsprache, insbesondere in technisch-naturwissenschaftlichen, künstlerischen und medizinischen Kontexten, fand Beherrschen Eingang als Qualitätsmerkmal für den Grad der Fertigkeit oder Performanz. So wird in der Medizin darunter häufig die Fähigkeit verstanden, eine Maßnahme konsistent, fehlerarm und auch unter erschwerten Bedingungen erfolgreich durchführen zu können (SK Verlag, 2021). Im rettungsdienstlichen Bereich wurde der Begriff spätestens mit dem Notfallsanitätergesetz (§ 2a NotSanG) normativ verankert und bezeichnet dort die Voraussetzung für die eigenverantwortliche Durchführung bestimmter heilkundlicher Maßnahmen, ohne dass jedoch eine pädagogische oder prüfungstechnische Präzisierung im Gesetzestext selbst vorgenommen wurde. Dies führte zu einer Diskrepanz zwischen rechtlicher Anforderung und didaktischer Operationalisierung, die in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen und durch eine strukturierte Definition geschlossen werden soll. ## 2.3 Verwaltungsrechtliche Herleitung Der Begriff Beherrschen wurde im rettungsdienstlichen Kontext erstmals mit der Einführung des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) im Jahr 2014 in den bundesrechtlichen Rahmen aufgenommen. In § 2a NotSanG, ergänzt durch das Gesetz zur Änderung des NotSanG vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3320), wird festgelegt, dass Notfallsanitäter:innen bestimmte heilkundliche Maßnahmen „erlernt und beherrscht“ haben müssen, um diese eigenverantwortlich durchführen zu dürfen. Diese Formulierung ist bewusst offen gehalten und verzichtet auf eine präzise gesetzliche Definition des Begriffs. Sie impliziert jedoch, dass ein Qualifikationsnachweis sowohl den erfolgreichen Erwerb der entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten als auch deren sichere, konsistente Anwendung belegt. Die Auslegung dieser Anforderung obliegt damit nachrangig den Landesvorgaben, den Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst sowie den jeweiligen Ausbildungsträgern. (BMG, 2012, S. 47-48) Die Ausführungsbestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen zum NotSanG konkretisieren den Begriff, ohne ihn abschließend zu definieren. Sie verweisen auf einheitliche Kataloge invasiver Maßnahmen und Medikationen sowie auf die Handlungsempfehlungen des Landesverbandes der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst NRW (ALRD NRW). In diesen Handlungsempfehlungen wird Beherrschen vor allem über regelmäßige Zertifizierungen, in der Regel jährlich, nachgewiesen, die durch die jeweils zuständige Ärztliche Leitung Rettungsdienst durchgeführt oder delegiert werden. Auch hier bleibt offen, welche didaktischen oder prüfungsrelevanten Kriterien erfüllt sein müssen, um von Beherrschen sprechen zu können. In ministeriellen Erlassen und Verwaltungsvorschriften, wie beispielsweise dem MAGS-Erlass vom 11. August 2025, wird der Begriff Beherrschen implizit als fachlicher Standard übernommen. Der Erlass weist die Rettungsdienstschulen an, die von der ALRD NRW entwickelten Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfade als Grundlage der Ausbildung zu verwenden. Damit wird der Begriff in den Verwaltungsvollzug integriert, ohne eine pädagogische Operationalisierung vorzunehmen. Die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung und Nachweisführung liegt damit de facto bei den Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst und den Ausbildungseinrichtungen. Diese verwaltungsrechtliche Entwicklung verdeutlicht eine zentrale Diskrepanz. Während der Begriff Beherrschen auf höchster normativer Ebene (Bundesgesetz) verankert ist, fehlt eine einheitliche, verbindliche und didaktisch fundierte Definition. Dies führt zu unterschiedlichen Interpretationen in der Ausbildungspraxis und eröffnet Spielräume, die sowohl Chancen für individuelle curriculare Gestaltung als auch Risiken für mangelnde Vergleichbarkeit und Rechtssicherheit bergen. > [!warning] Deutliche Beobachtung > 1. Fachfremde Akteure überführten einen pädagogisch undefinierten Begriff in den Bildungskontext, der sich weder curricular belastbar ausbilden noch prüfungsrechtlich valide bewerten lässt. > 2. Der Begriff Beherrschen findet bundesweit inflationär und unreflektiert Verwendung, obwohl keinerlei gemeinsame begriffliche Grundlage existiert - Scheinpräzision und Pseudoverbindlichkeit treten an die Stelle einer überprüfbaren, tragfähigen Operationalisierung. > 3. Die Pädagogik hat diese gravierende Leerstelle bislang nicht schließen können; eine eigenständige, wissenschaftlich fundierte Definitions- und Korrekturarbeit steht aus. Die Leerstelle wird in der folgenden Synthese gezielt adressiert. Ausgehend von der aufgezeigten Diskrepanz zwischen normativer Verankerung und fehlender pädagogischer Präzisierung werden die zuvor getrennt betrachteten Dimensionen nicht nur additiv, sondern in ihrer wechselseitigen Verschränkung zu einem kohärenten, ausbildungs- und prüfungsrelevanten Begriffsrahmen zusammengeführt (s. [[Beherrschen beherrschen]]). ## 2.4 Synthese der Dimensionen Die Synthese führt die zuvor getrennt dargestellten Dimensionen, die bundesrechtliche Normierung im NotSanG, die prüfungstechnische Konkretisierung in der NotSan-APrV sowie den kompetenztheoretischen Rahmen für High Responsibility Teams, zu einem kohärenten Begriffsverständnis zusammen. Das Ziel muss sein, Beherrschen so zu fassen, dass der Begriff den rechtlichen Anforderungen genügt und zudem pädagogisch-didaktisch operationalisierbar ist. Dabei wird in den folgenden Unterkapiteln zunächst die jeweilige Ausprägung der einzelnen Dimensionen herausgearbeitet und anschließend zu einer integrativen Synthese zusammengeführt. Eine zentrale [[Erkenntnis]], die sich im Verlauf der weiteren Kapitel herauskristallisieren wird, lautet: >Beherrschen kann als systemtheoretische Operation definiert werden, die in ihrer vollständigen Ausprägung nur durch das gleichzeitige Zusammenspiel kognitiver und psychomotorischer Handlungsdimensionen sowie die gezielte Überwindung einsatzrelevanter Transformationsbarrieren sichtbar wird. ```mermaid flowchart TD %% Quellenebene A["§ 2a NotSanG<br/>erlernt und beherrscht"] B["§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV<br/>6 Prüfungsperspektiven"] C["Kompetenzmodell<br/>High Responsibility Teams"] %% Definition (Zentrum) D["Definition »Beherrschen« als Operation<br/>Unterscheidung<br/>Analyse<br/>Beurteilung<br/>Ausführung"] %% Handlungsdimensionen & Zielbezug H["Handlungsdimensionen<br/>kognitiv<br/>psychomotorisch"] I["Zielbezug<br/>Überwindung von Transformationsbarrieren"] %% Operationalisierung E["Operationalisierung<br/>Linsen<br/>Indikatoren<br/>Nachweisformen"] %% Nachweis & Bewertung F["Nachweis & Bewertung<br/>OSCE/OSPE<br/>Fallvignetten<br/>Audit-Trail"] G["Rechts- & Verfahrenssicherheit<br/>Dokumentation<br/>Standard-Setting<br/>Kalibrierung"] %% Flüsse A --> B B --> D C --> D D --> H D --> I H --> E I --> E E --> F F --> G %% Linsen-Knoten (statt Einzellinsen) Linsen["Linsen aus § 17 Abs. 2 NotSan-APrV<br/>1 Lageeinschätzung<br/>2 Arbeitsdiagnose<br/>3 Gerätehandhabung<br/>4 Maßnahmen<br/>5 Dokumentation<br/>6 Transport & Übergabe"] E --> Linsen ``` _Abbildung 1: Systemtheoretische Operationalisierung des Beherrschens in der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung (eig. Darstellung)_ _Die Abbildung zeigt ein Flussdiagramm zur systemtheoretischen Operationalisierung des Begriffs Beherrschen in der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung. Ausgangspunkt sind die drei normativen und theoretischen Quellenebenen: das NotSanG (§ 2a „erlernt und beherrscht“), die NotSan-APrV (§ 17 Abs. 2 mit sechs Prüfungsperspektiven) sowie das Kompetenzmodell für High Responsibility Teams. Diese münden in die zentrale Definition von Beherrschen als Operation, die Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung umfasst. Von hier aus verzweigt das Diagramm in zwei Richtungen: einerseits die Handlungsdimensionen (kognitiv, psychomotorisch), andererseits den Zielbezug (Überwindung von Transformationsbarrieren). Beide Stränge führen in die Operationalisierung, die über Linsen, Indikatoren und Nachweisformen konkretisiert wird. Innerhalb dieses Blocks sind die sechs Prüfungsperspektiven der NotSan-APrV (Lageeinschätzung, Arbeitsdiagnose, Gerätehandhabung, Maßnahmen, Dokumentation, Transport/Übergabe) zusammengefasst. Die Operationalisierung leitet weiter zu Nachweis- und Bewertungsformaten (OSCE/OSPE, Fallvignetten, Audit-Trail), die schließlich in den Bereich der Rechts- und Verfahrenssicherheit übergehen (Dokumentation, Standard-Setting, Kalibrierung). Damit verdeutlicht die Abbildung den Weg vom offenen Rechtsbegriff über die systemtheoretische Definition hin zur pädagogischen und prüfmethodischen Operationalisierung._ Dieses Verständnis schafft die Grundlage für eine einheitliche Bewertung in Ausbildung, Prüfung und realem Einsatz. ### 2.4.1 Notfallsanitätergesetz Das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) bildet die bundesrechtliche Grundlage für die Ausbildung und Berufsausübung von Notfallsanitäter:innen in Deutschland. Zentral für den hier untersuchten Kontext ist § 2a NotSanG, der im Zuge der Gesetzesnovelle vom 22. Dezember 2020 eingefügt wurde. Er regelt die Voraussetzungen, unter denen Notfallsanitäter:innen heilkundliche Maßnahmen eigenverantwortlich durchführen dürfen. Der Gesetzestext verlangt, dass diese Maßnahmen „in der Ausbildung erlernt und beherrscht“ worden sind. Diese Formulierung impliziert, dass ein Qualifikationsnachweis sowohl den Erwerb als auch die sichere, konsistente Anwendung der Maßnahme belegen muss. Gleichwohl bleibt der Begriff Beherrschen im Gesetz selbst undefiniert und wird als sogenannter offener Rechtsbegriff in den Vollzug gegeben. Damit obliegt die konkrete inhaltliche Ausgestaltung und Überprüfung den nachgeordneten Regelwerken, insbesondere der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen. Diese ergänzenden Vorschriften versuchen, den Begriff für die Ausbildungspraxis zu operationalisieren, schaffen jedoch bislang keine bundesweit einheitliche, pädagogisch belastbare Definition. ### 2.4.2 Notfallsanitäter Ausbildungs- und Prüfungsverordnung Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (NotSan-APrV) konkretisiert die gesetzlichen Vorgaben des NotSanG und legt den Rahmen für die inhaltliche und prüfungstechnische Umsetzung fest. Für den Begriff Beherrschen ist insbesondere § 17 Abs. 2 NotSan-APrV relevant, der die Struktur und Inhalte der praktischen Prüfung definiert. Hier werden sechs Prüfungsperspektiven festgelegt: 1. Einschätzung der Gesamtsituation 2. Erstellung einer Arbeitsdiagnose 3. Umgang mit medizinisch-technischen Geräten 4. Durchführung von Sofort- und erweiterten Versorgungsmaßnahmen 5. Dokumentation 6. Herstellung der Transportbereitschaft und Übergabe Diese sechs Prüfungsperspektiven sind für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung, da sie als „Beobachtungslinsen“ fungieren, über die die Operation des Beherrschens im praktischen Prüfungskontext sichtbar und beurteilbar gemacht wird. Auch wenn die NotSan-APrV selbst keine explizite Definition des Beherrschens liefert, ermöglicht die systematische Verknüpfung dieser sechs Kompetenzbereiche mit den in der Ausbildung vermittelten kognitiven und psychomotorischen Handlungsdimensionen eine didaktische Operationalisierung, die eine fundierte Bewertung der Handlungskompetenz erlaubt. Bemerkenswert ist, dass diese Struktur bereits im Referentenentwurf des BMG (2012) in Form einer zweidimensionalen Kompetenzmatrix angelegt war, in der die höchste theoretische Stufe („Beurteilen“) mit der höchsten praktischen Stufe („sehr gute Praxis“) als Beherrschen definiert wurde. Die Übernahme dieser Logik in die NotSan-APrV schafft eine implizite, wenn auch nicht ausdrücklich kodifizierte, Operationalisierung des Begriffs für die Prüfungspraxis. (BMG, 2012, S. 47-48) ### 2.4.3 Kompetenz für High Responsibility Teams Die hier verwendete Kompetenzdefinition versteht [[Kompetenz]] wie folgt: ![[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams#Kompetenzdefinition High Responsibility Teams]] Diese Kompetenzdefinition bietet einen präzisen, handlungsorientierten Rahmen, um den bislang unscharf verwendeten Begriff Beherrschen zu präzisieren und wird im Rahmen des Textes als theoretische Grundlage genutzt, um Beherrschen nicht nur begrifflich zu schärfen, sondern auch didaktisch und prüfungstechnisch zu operationalisieren. Sie erlaubt infolgedessen, den systemtheoretischen Operationsbegriff mit den ausbildungsrechtlichen Anforderungen des NotSanG und den prüfungsrelevanten Perspektiven der NotSan-APrV zu verknüpfen. Auf diese Weise wird Beherrschen als eine unteilbare, zielgerichtete Operation verstanden, die kognitive und psychomotorische Komponenten vereint und auf die Überwindung konkret identifizierter Transformationsbarrieren ausgerichtet ist. Erstens definiert sie [[Kompetenz]] nicht als statischen Besitz von Wissen oder Fertigkeiten, sondern als dynamische Disposition, in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung untrennbar verbunden sind. Zweitens ist der Fokus auf die Überwindung von Transformationsbarrieren gerichtet - eine Zielsetzung, die in der notfallmedizinischen Versorgung konkret und überprüfbar ist. Drittens bindet sie jede Handlung an eine ausbildungsrechtliche Grundlage, wodurch die Anbindung an NotSanG und NotSan-APrV strukturell sichergestellt wird. Wenn die Kompetenzdefinition auf den Begriff Beherrschen im Kontext der NotSan-APrV angewendet wird, so lässt diese sich als die beschriebene unteilbare Operation verstehen; mit kognitiven und psychomotorischen Anteilen, die auf die Überwindung erkannter Transformationsbarrieren zielen. Die sechs in § 17 Abs. 2 NotSan-APrV festgelegten Perspektiven fungieren dabei als Beobachtungslinsen, über die sich die Qualität der Operation erfassen lässt. Diese Substitution bildet die Brücke zur nachfolgenden Operationalisierung. Diese Perspektive führt dazu, dass Beherrschen sowohl in Ausbildung und Prüfung als auch im realen Einsatz objektivierbar ist. Bewertet wird, ob die verantwortlich handelnde Person in der Lage ist, unter Beachtung ausbildungsrechtlicher Standards eine angemessene Operation zu planen und auszuführen, die zu einer erfolgreichen Transformation vom unerwünschten zum erwünschten Zustand führt. Die in Abschnitt 2.4.3 dargestellte Kompetenzdefinition für High Responsibility Teams liefert damit nicht nur eine theoretische Präzisierung des Begriffs Beherrschen, sondern auch einen unmittelbar anschlussfähigen Bezugsrahmen für dessen Umsetzung in Ausbildung und Prüfung. Da [[Kompetenz]] in diesem Modell als unteilbare Operation verstanden wird, in der kognitive und psychomotorische Anteile untrennbar verschränkt sind, ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, diese Operation prüfmethodisch sichtbar und bewertbar zu machen. Die nachfolgende Operationalisierung (2.4.4) erfüllt genau diese Funktion: Sie übersetzt die theoretische Konstruktion in konkrete Beobachtungsperspektiven, Indikatoren und Nachweisformen, die mit dem Rechts- und Prüfungsrahmen (NotSanG § 2a; NotSan-APrV § 17 Abs. 2) kompatibel sind. ### 2.4.4 Operationalisierung Die nachfolgende Operationalisierung übersetzt die Anforderung des § 2a NotSanG (Beherrschen als Voraussetzung eigenverantwortlicher Tätigkeit) in prüfmethodische Nachweise, die den in § 17 Abs. 2 NotSan-APrV normierten sechs Prüfungsperspektiven entsprechen. Aus der Definition von Beherrschen als Operation folgt damit zwingend die Sichtbarmachung über Linsen, Indikatoren und Nachweisformen. Die Operationalisierung des Begriffs Beherrschen erfolgt auf Grundlage der in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Elemente, der gesetzlichen Rahmung durch das NotSanG (§ 2a), der prüfungstechnischen Struktur der NotSan-APrV (§ 17 Abs. 2) und der Kompetenzdefinition für High Responsibility Teams ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). Dabei wird Beherrschen als Operation im systemtheoretischen Sinne gefasst, die unteilbar ist und in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung simultan und untrennbar verschränkt auftritt. Die Überwindung von Transformationsbarrieren steht dabei im Zentrum der Handlung. Methodisch wird die Erfassung dieser Operation durch die sechs in der NotSan-APrV definierten Prüfungsperspektiven ermöglicht. Diese Perspektiven fungieren als „Linsen“, durch die die in einem konkreten Einsatz oder Prüfungsszenario vorliegenden Transformationsbarrieren sichtbar gemacht werden. Beherrschen ist nach diesem Modell nachgewiesen, wenn in allen relevanten Perspektiven diese Barrieren erkannt, kognitiv-analytisch verarbeitet und in eine kohärente psychomotorische Umsetzung überführt werden, die eine evidenzbasierte Transformation bewirkt. Diese Herangehensweise erlaubt weiterführend, Beherrschen nicht nur im Rahmen formaler Prüfungen, sondern auch in realen Einsatzsituationen zu erfassen, wodurch eine standardisierte und nachvollziehbare Bewertung auch unter Einsatzbedingungen möglich wird. Damit wird der bislang unscharfe Rechtsbegriff in eine prüf- und beobachtbare Kategorie überführt, ohne dass eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen erforderlich ist.Die Operationalisierung stützt sich auf bestehende Strukturen und schließt zugleich an diese an. ## 2.5 Mapping Die folgende Tabelle stellt die Beziehung zwischen den zentralen Normbegriffen des NotSanG und der NotSan-APrV, ihrer didaktischen Umsetzung ([[Kompetenzziel]]) sowie den jeweils geeigneten prüfmethodischen Nachweisformen dar: _Tabelle 1: Mapping der Normbegriffe_ | **Normbegriff (§)** | **Didaktische Umsetzung (Kompetenzziel)** | **Prüfmethodischer Nachweis (Format/Instrument)** | | --------------------------------------------------------------------------------------------- | ------------------------------------------------------------------------------------------------------ | ------------------------------------------------------------------------------------------ | | § 2a NotSanG - „erlernt und beherrscht“ | Definition von Beherrschen als unteilbare Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung) | OSCE/OSPE mit Rubrics je Linse, Audit-Trail | | § 17 Abs. 2 Nr. 1 NotSan-APrV - Einschätzung der Gesamtsituation | Vollständige Lageaufnahme, Prioritätensetzung, Risikomanagement | OSCE-Station „Lageeinschätzung“, strukturierte Beobachtung, Checkliste mit Ankerbeispielen | | § 17 Abs. 2 Nr. 2 NotSan-APrV - Erstellung einer Arbeitsdiagnose | Plausible Hypothesenbildung, Differenzialdiagnostik, Entscheidungslogik | Fallvignette mit Begründung, OSCE-Station mit diagnostischem Schwerpunkt | | § 17 Abs. 2 Nr. 3 NotSan-APrV - Umgang mit medizinisch-technischen Geräten | Zweck-Mittel-Passung, fehlerarme Bedienung, Störungsmanagement | OSPE-Mikro-Task, direkte Beobachtung (DOPS) | | § 17 Abs. 2 Nr. 4 NotSan-APrV - Durchführung von Sofort- und erweiterten Versorgungsmaßnahmen | Indikationsstellung, Komplikationsprophylaxe, Adaptivität | OSCE-Station „Maßnahmen“, Szenario mit dynamischen Rückkopplungen | | § 17 Abs. 2 Nr. 5 NotSan-APrV - Dokumentation | Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit, Abweichungsbegründungen | Dokumentationsprüfung, Audit-Trail-Auswertung | | § 17 Abs. 2 Nr. 6 NotSan-APrV - Herstellung der Transportbereitschaft und Übergabe | Strukturierte Übergabe ( ISBAR (Gheisari et al., 2025) oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024)), Kontinuität der Operation | OSCE-Station „Übergabe“, Peer-Review | Tabelle 1 dient der strukturierten Verknüpfung von normativen Vorgaben mit ihrer didaktischen Umsetzung und den prüfmethodischen Nachweisen. Sie stellt sicher, dass die in den Rechtsquellen (§ 2a NotSanG, § 17 Abs. 2 NotSan-APrV) enthaltenen Anforderungen in der Ausbildungspraxis eindeutig interpretiert, curricular umgesetzt und in Prüfungen valide nachgewiesen werden können. Jede Tabellenzeile bildet eine durchgängige Kette von der Norm über das [[Kompetenzziel]] bis zum konkreten Prüfdesign ab. # 3 Folgerungen Im Folgenden werden die aus der Analyse und Synthese der vorangegangenen Abschnitte gezogenen Folgerungen dargelegt. Ziel ist es, die wesentlichen Konsequenzen der begrifflichen und kontextuellen Präzisierung des Begriffs Beherrschen systematisch zu erfassen und deren Bedeutung für die Praxis von Ausbildung und Prüfung im rettungsdienstlichen Kontext herauszuarbeiten. Die Folgerungen werden im Anschluss von weiterführenden Implikationen abgegrenzt. **Norm-Anschluss:** Die Folgerungen konkretisieren, wie der offene Rechtsbegriff des § 2a NotSanG durch die in § 17 Abs. 2 NotSan-APrV vorgegebenen Perspektiven prüfmethodisch eingelöst wird. ## 3.1 Prüf- und Dokumentierbarkeit des Begriffs Beherrschen Die vorgeschlagene Operationalisierung des Begriffs Beherrschen ermöglicht, einen bislang unscharf verwendeten Rechts- und Fachbegriff systematisch beobacht-, prüf- und dokumentierbar zu machen. Durch die Verknüpfung mit den sechs Prüfungsperspektiven der NotSan-APrV entsteht ein objektivierbarer Bezugsrahmen, der sowohl die Erfassung als auch die Bewertung professioneller Handlungsausführung in Ausbildung und Prüfung erlaubt. Damit wird der Nachweis „erlernt und beherrscht“ (§ 2a NotSanG) nicht ergebnis-, sondern operationsbezogen geführt und strikt an die sechs Perspektiven des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV rückgebunden. ### 3.1.1 Prüfmaßstab Beherrschen ist nachweisbar, wenn - die einsatzrelevanten Transformationsbarrieren in allen einschlägigen Perspektiven explizit benannt und beschrieben - analytisch-beurteilend verarbeitet und - in eine kohärente kognitive und psychomotorische Handlung überführt werden. Bewertet wird nicht primär das Ergebnis (klinischer Erfolg), sondern die Zielrichtung, Begründung und Ausführung im Sinne einer evidenzbasierten, patienten- und situationsangemessenen Operation. ### 3.1.2 Indikatoren (beispielhaft, perspektivbezogen) - *Einschätzung der Gesamtsituation*: Vollständigkeit der Lageaufnahme, Prioritätensetzung, Risikomanagement (z.B. Szenensicherheit, Ressourcensteuerung). - *Arbeitsdiagnose*: Plausible Hypothesenbildung, Differenzialdiagnostik, Zeitkritik und Entscheidungslogik (inkl. „Stop-Rules“ und Re-Evaluation). - *Geräteeinsatz*: Zweck-Mittel-Passung, fehlerarme Bedienung, Störungsmanagement, dokumentierte Sicherheitschecks. - *Versorgungsmaßnahmen*: Indikationsstellung, Reihenfolge und Dosierung, Komplikationsprophylaxe, Umsteuerungsfähigkeit bei Abweichungen. - *Dokumentation*: Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsketten, Abweichungsbegründungen, rechtlich belastbarer Audit-Trail^[Im Sinne von Lincoln und Guba (1985) wird der hier verwendete Begriff „Audit-Trail“ als systematische, nachvollziehbare und überprüfbare Dokumentationskette verstanden. Sie ermöglicht es, Entscheidungen, Handlungen und deren Begründungen transparent zu rekonstruieren. Der Audit-Trail wird damit sowohl aus dem Qualitätsmanagement (vgl. ISO 9001:2015) als auch aus der qualitativen Sozialforschung übernommen, um Nachvollziehbarkeit und Prüfbarkeit komplexer Entscheidungsprozesse zu gewährleisten.]. - *Transport & Übergabe*: Transportfähigkeit, Zielauswahl, strukturierte Übergabe (z.B. ISBAR (Gheisari et al., 2025) oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024)), Kontinuität der Operation. ### 3.1.3 Nachweisformen Geeignet sind formatives und summatives OSCE/OSPE-Design, simulationsgestützte Fallvignetten ([[Systemsimulation]]) mit standardisierten Beobachtungs- und Bewertungsbögen und Videoreflexionen mit Beobachter:innen-Triangulation. Für den Real-Einsatz können Einsatzprotokolle mit Indikations- und Abweichungsbegründungen zur Anwendung kommen, ggf. ergänzt um Peer-Review und Fallkonferenzen. Damit ist Beherrschen prüfmethodenunabhängig anschlussfähig und erlaubt die Abbildung nicht nur in praktischen, sondern auch in theoretischen und mündlichen Prüfungen, da die Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung) jeweils über Begründungs- und Entscheidungslogiken sichtbar gemacht werden kann. ### 3.1.4 Bewertungstransparenz Die Verwendung von kompetenzorientierten Leistungsanforderungen je Perspektive, mit konkretisierten Kompetenzmerkmalen und kontextbezogenen Handlungskriterien, fördert die Transparenz der Bewertung und reduziert subjektive Varianz. Bewertet wird, ob die vorgegebenen Kompetenzindikatoren im gegebenen Kontext vollständig und angemessen erfüllt werden. Die Kriterien beziehen sich explizit auf das Benennen/Beschreiben, Analysieren/Beurteilen und Umsetzen relevanter Aspekte und trennen die Zielrichtung (Zweckerfüllung) von der Ausführungssicherheit. Die Kopplung an § 17 Abs. 2 NotSan-APrV stellt sicher, dass die Bewertungsmaßstäbe normkonform, vorab bekannt und institutionell überprüfbar sind. ### 3.1.5 Dokumentation und Nachvollziehbarkeit Für jede Prüfung wird ein Audit-Trail angelegt (Szenario, Kontextfaktoren, Entscheidungen, Begründungen, Maßnahmen, Re-Evaluation, Ergebnis), der eine nachträgliche Prüfung ermöglicht. Abweichungen von Standardpfaden werden begründet dokumentiert und nicht per se negativ bewertet, sofern sie patientensicher und evidenzgestützt sind. **Mindestanforderungen und Grenzfälle:** Ein „Nicht-Nachweis“ liegt vor, wenn wesentliche Barrieren nicht erkannt werden, die Entscheidungslogik nicht begründet ist oder die psychomotorische Ausführung unsicher / gefährdend erfolgt. Grenzfälle (z.B. korrekte Zielrichtung bei formalen Dokumentationslücken) sind in Prüfungskonferenzen zu klären; hier gilt der Vorrang der patientensicheren Zielrichtung bei gleichzeitigem Korrekturauftrag für die Form. **Fehlerquellenkontrolle:** Maßnahmen gegen systematische Verzerrungen umfassen Doppel-Bewertungen, Kalibrierungen der Prüfer:innen, Szenario-Äquivalenzen, sowie die Trennung von Rolle und Bewertung (z.B. Supervisor ≠ Prüfer). Eine jährliche Item-Analyse der Bewertungsbögen dient der Qualitätsentwicklung. Der Begriff Beherrschen wird damit beobacht-, prüf- und dokumentierbar, ohne auf Ergebnisglück angewiesen zu sein. Bewertet wird die Qualität der Operation in ihrer systemtheoretischen Einheit, durch die sechs Perspektiven der NotSan-APrV sichtbar gemacht und abgesichert durch transparente Indikatoren, Nachweisformen und Dokumentationsstandards. ## 3.2 Schließung einer pädagogischen Leerstelle Die hier entwickelte Definition und Operationalisierung adressiert eine seit Einführung des Begriffs Beherrschen im rettungsdienstlichen Ausbildungskontext bestehende, gravierende pädagogische Leerstelle. Historisch betrachtet wurde Beherrschen als zentrales Kriterium für die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen (§ 2a NotSanG) und als Prüfmaßstab in der NotSan-APrV eingeführt, ohne dass eine explizite, pädagogisch-didaktisch fundierte Definition vorlag. In der Folge scheitert Ausbildungspraxis an einer belastbaren Grundlage, um das Beherrschen curricular zu vermitteln, in Prüfungen valide zu bewerten oder als Zielgröße für die [[Allgemein beruflich/Research/Bildungswissenschaft/Kompetenzentwicklung|Kompetenzentwicklung]] zu operationalisieren. Stattdessen entstand eine Lücke zwischen der juristischen Terminologie und der pädagogischen Praxis: Während das Gesetz einen Nachweis des Beherrschens fordert, blieb offen, was dies konkret im Sinne von Handlungskompetenz, Kompetenzzielen und Bewertungskriterien bedeutet. Die vorliegende Definition schließt diese Leerstelle, indem sie eine wissenschaftlich fundierte und systematisch hergeleitete Brücke zwischen der rechtlichen Anforderung und der didaktischen Umsetzung schlägt. Sie überführt den offenen Rechtsbegriff in eine handlungs- und kompetenzorientierte Kategorie, die sich an den Prinzipien moderner Berufsbildung und evidenzbasierter Kompetenzmodelle orientiert. Durch die Verknüpfung mit den sechs Prüfungsperspektiven der NotSan-APrV, die als Beobachtungslinsen fungieren, wird das Beherrschen nicht nur beobacht-, prüf- und dokumentierbar, sondern auch curricular verankerbar und didaktisch vermittelbar. **Historische Leerstelle:** Bislang fehlte eine verbindliche, pädagogisch begründete Definition von Beherrschen im rettungsdienstlichen Ausbildungssystem. Der Begriff wurde zwar rechtlich normiert und in Prüfungsordnungen übernommen, blieb aber inhaltlich unbestimmt und wurde in der Praxis oft unterschiedlich oder intuitiv interpretiert. Dies führte zu Unsicherheiten bei der Ausgestaltung von Lehr-Lern-Arrangements, bei der Erstellung von Prüfungsaufgaben und Bewertungsbögen sowie bei der Begründung von Prüfungsentscheidungen im Streitfall. **Brückenschlag zwischen Recht und Pädagogik:** Die neue Definition operationalisiert Beherrschen als die kleinste, unteilbare Operation professioneller Handlungsausführung, in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung simultan verschränkt auftreten. Sie verbindet damit die Anforderungen des Gesetzgebers (Nachweis von Beherrschen als Voraussetzung eigenverantwortlicher Tätigkeit) mit den Erfordernissen einer kompetenzbasierten, handlungsorientierten Ausbildung. Die Definition ist so gestaltet, dass sie sowohl die rechtliche Nachvollziehbarkeit (z.B. im Prüfungsprotokoll oder bei Rechtsstreitigkeiten) als auch die didaktische Vermittlung (z.B. in Kompetenzzielen, Lehrgesprächen, Feedback) unterstützt. **Ausrichtung an kompetenzbasierter Bildung:** Die Definition integriert zentrale Elemente der Kompetenzorientierung: Sie versteht Beherrschen nicht als statisches Wissen oder bloße Routinetätigkeit, sondern als dynamische, reflektierte Fähigkeit zur evidenzbasierten und situationsangemessenen Überwindung von Transformationsbarrieren. Damit wird das Beherrschen zum Referenzpunkt für die Entwicklung und Überprüfung beruflicher Handlungskompetenz im Rettungsdienst. **Unterstützung der Bewertungs- und Prüfungszuverlässigkeit:** Durch die klare Strukturierung der Beobachtungs- und Bewertungsperspektiven sowie die explizite Benennung von Indikatoren und Nachweisformen schafft die Definition ein hohes Maß an Reliabilität und Transparenz im Prüfungsprozess. Prüfer:innen können sich an objektivierten Kriterien orientieren, wodurch die Vergleichbarkeit von Prüfungsleistungen und die Rechtssicherheit von Prüfungsentscheidungen gestärkt werden. **Referenzstandard für Curriculumentwicklung:** Die Definition dient als verbindlicher Referenzrahmen für die curriculare Gestaltung, indem sie die Kompetenzziele, Inhalte und Prüfungsformate auf ein einheitliches Verständnis von Beherrschen ausrichtet. Lehrende können darauf aufbauend Lernarrangements, Simulationen und Reflexionsformate entwickeln, die gezielt auf die Entwicklung der geforderten Operationen hinführen. Curriculare Innovationen und Qualitätsentwicklungsmaßnahmen erhalten so eine klare Zielorientierung. **Schaffung einer gemeinsamen professionellen Sprache:** Die präzise und operationalisierte Definition von Beherrschen fördert die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache zwischen Lehrenden, Prüfer:innen, Auszubildenden und den juristischen Instanzen. Sie erleichtert die Kommunikation über Leistungsanforderungen, Bewertungsmaßstäbe und Nachweisdokumentationen und trägt dazu bei, Missverständnisse und Interpretationsspielräume zu minimieren. Damit wird die Anschlussfähigkeit zwischen Ausbildungspraxis, Prüfungswesen und Rechtsrahmen nachhaltig verbessert. Insgesamt trägt die hier vorgeschlagene Definition dazu bei, die pädagogische Anschlussfähigkeit des Rechtsbegriffs Beherrschen herzustellen und die Ausbildungspraxis im Rettungsdienst an klaren, nachvollziehbaren und wissenschaftlich begründeten Kriterien auszurichten. Sie schließt damit eine zentrale Leerstelle und bildet die Basis für eine kompetenzorientierte, gerechte und rechtssichere Gestaltung von Ausbildung und Prüfung. ## 3.3 Erhöhung von Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit Die Standardisierung der Bewertungskriterien für Beherrschen erhöht die Rechtssicherheit im Prüfungswesen substantiell. Sie reduziert individuelle Interpretationsspielräume, schafft belastbare Bewertungsmaßstäbe und ermöglicht eine bundesweit vergleichbare Prüfungspraxis. Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Prüfungsentscheidungen werden gestärkt, die Angreifbarkeit im Widerspruchs- und Klagefall verringert. **Normative Anschlussfähigkeit.** Die hier vorgeschlagenen Kriterien verankern die Bewertung des Beherrschens explizit in den geltenden Normen (NotSanG § 2a; NotSan-APrV § 17 Abs. 2). Damit wird der offene Rechtsbegriff in eine prüfmethodisch abgesicherte Kategorie überführt. Prüfungsentscheidungen verweisen nicht auf „Eindruck“ oder „Gesamteindruck“, sondern auf benannte Perspektiven, definierte Indikatoren und dokumentierte Begründungen. **Standardisierungselemente.** Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit entstehen insbesondere durch: - **Perspektivengebundene kompetenzorientierte Leistungsanforderungen** je § 17-Perspektive (mit konkretisierten Kompetenzmerkmalen und kontextbezogenen Handlungskriterien), - **Standardisierte Nachweisformen** (OSCE/OSPE, strukturierte Fallvignetten, Entscheidungsprotokolle), - **Kalibrierte Bewertungsbögen** mit einheitlicher Nachweislogik und Mindestanforderungen, - **Prüfer:innen-Kalibration** (gemeinsame Durchsicht von Referenzvideos und Fallbeispielen, Inter-Rater-Checks), - **Audit-Trail** pro Prüfung (Szenario, Entscheidungen, Begründungen, Maßnahmen, Re-Evaluation), - **Begründungspflicht bei Abweichungen** von Standardpfaden (Dokumentation, Risiko-Nutzen-Abwägung, Evidenzbezug). **Verfahrenssicherheit.** Für Widerspruchs- und Gerichtsverfahren ist entscheidend, dass 1. die Bewertungsmaßstäbe **vorab bekannt** waren, 2. sie **gleichmäßig angewendet** wurden und 3. die Entscheidung **nachvollziehbar begründet** ist. Die Kombination aus kompetenzorientierten Leistungsanforderungen, Protokollen und Audit-Trail erfüllt diese Anforderungen und erhöht die Bestandskraft der Entscheidungen. Die Trennung von Rolle und Bewertung (z.B. Praxisanleitung ≠ Prüfer:in) verhindert Befangenheitsargumente. **Vergleichbarkeit.** Die Kopplung an klar definierte Perspektiven und Indikatoren ermöglicht Querschnittsvergleiche über Klassen, Jahrgänge und Standorte hinweg. Periodische Analysen der Bewertungsbögen identifizieren systematische Unterschiede (z.B. unterschiedliche Bewertungsstile) und liefern Ansatzpunkte für Kalibrierung und Fortbildung. **Schnittstellenmanagement.** Die dokumentierte Begründung von Entscheidungen schafft Anschlüsse zu übergeordneten Akteuren (z.B. Ärztliche Leitung Rettungsdienst, Bezirksregierungen). Wo lokale Behandlungspfade/ALRD-Vorgaben von der Lehrmeinung abweichen, macht die Begründungspflicht die Entscheidung **prüf- und dialogfähig**, ohne die Patient:innensicherheit zu relativieren. **Grenzen und Zuständigkeitsklarheit.** Standardisierung erzeugt keine Ergebnisdeterministik. Unterschiede der Fallschwere, Kontextfaktoren und legitime Handlungsvarianten bleiben anerkannt - entscheidend ist die **evidenzbasierte Zielrichtung** und die **plausible Begründung** der Operation. Zuständigkeiten zwischen Schule, Trägern und Ärztlicher Leitung sind in Prüfungsordnung/QM eindeutig zu regeln (z.B. wer definiert Mindestanforderungen, wer entscheidet in Grenzfällen). Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit steigen, wenn Beherrschen nicht als diffuse Zuschreibung, sondern als operationale Bewertungsgröße behandelt wird. Der Prüfungsprozess wird dadurch reproduzierbar, überprüfbar und anschlussfähig an den Rechtsrahmen, bei gleichzeitiger Wahrung der professionellen Urteilsspielräume in komplexen Einsatzsituationen. ## 3.4 Beitrag zur curricularen Gestaltung und Qualitätsentwicklung Die Operationalisierung des Begriffs Beherrschen schafft einen verbindlichen curricularen Referenzrahmen, der Kompetenzziele, Lehrmethoden und Prüfungsformate systematisch miteinander verzahnt. Sie bildet damit die Grundlage für die zielgerichtete Entwicklung, Überprüfung und kontinuierliche Weiterentwicklung von Curricula in der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung. **Curriculare Steuerung und Revision:** Durch die explizite Festlegung operationalisierter Indikatoren und Nachweisformen wird ein gemeinsames Verständnis geschaffen, das sowohl die initiale Curriculumentwicklung als auch die laufende curriculare Überarbeitung leitet. Kompetenzziele können präzise an den geforderten Operationen des Beherrschens ausgerichtet werden. Gleichzeitig erlaubt die Rückkopplung von Assessmentdaten (z.B. aus OSCE/OSPE, strukturierten Fallvignetten oder Audit-Trails) eine evidenzbasierte Anpassung und Weiterentwicklung des Curriculums. Schwachstellen in der [[Kompetenzentwicklung]] werden frühzeitig identifiziert und können gezielt adressiert werden, wodurch eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung ermöglicht wird. **Verankerung im Curriculum und in Modulbeschreibungen:** Die Operationalisierung erlaubt es, das Konzept des Beherrschens explizit in Modulhandbüchern, Kompetenzzielkatalogen und Kompetenzrastern zu verankern. Kompetenzziele werden nicht mehr abstrakt oder beliebig formuliert, sondern an beobachtbare und überprüfbare Operationen geknüpft. Dies fördert die Konsistenz zwischen den curricularen Vorgaben und der tatsächlichen Ausbildungspraxis. Kompetenzraster und Modulbeschreibungen können die verschiedenen Stufen des Beherrschens (z.B. von der angeleiteten Ausführung bis zur eigenverantwortlichen, reflektierten Handlung) differenziert abbilden. **Gestaltung simulationsbasierter Trainings und progressiver Kompetenzentwicklung:** Die Operationalisierung unterstützt die Konzeption und Umsetzung simulationsbasierter Lehr-Lern-Arrangements, in denen die einzelnen Stufen der [[Kompetenzentwicklung]] (z.B. vom „Anwenden“ über das „Analysieren/Beurteilen“ bis zum Beherrschen) gezielt gefördert werden. Szenarien können so gestaltet werden, dass sie die Überwindung typischer Transformationsbarrieren adressieren und Raum für die Entwicklung reflektierter, evidenzbasierter Handlungsstrategien bieten. Die Integration von Reflexionsphasen und Feedbackschleifen ermöglicht eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und fördert die Entwicklung professioneller Urteilskompetenz. **Qualitätssicherung und Konsistenz:** Die Verwendung einheitlicher Indikatoren und Bewertungsmaßstäbe über Lehre, formative und summative Prüfungen hinweg erhöht die Konsistenz der [[Kompetenzentwicklung]]. Lehrende, Ausbildende und Prüfende arbeiten mit denselben Referenzgrößen, was die Vergleichbarkeit und Transparenz der Leistungserfassung verbessert. Dies bildet die Grundlage für gezielte Personalentwicklung und Fortbildung, da spezifische Entwicklungsbedarfe sowohl bei Lernenden als auch bei Lehrenden identifiziert werden können. Durch die longitudinale Dokumentation von Kompetenzentwicklungen wird eine systematische Nachverfolgung des Lernfortschritts über den gesamten Ausbildungsverlauf hinweg ermöglicht. **Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis:** Die Operationalisierung trägt dazu bei, die Lücke zwischen akademischen Inhalten und den Anforderungen des realen Einsatzfeldes zu schließen. Durch die konsequente Ausrichtung der Kompetenzziele und Prüfungsformate an den operationalisierten Anforderungen wird sichergestellt, dass die im Curriculum vermittelten Kompetenzen tatsächlich auf die Bewältigung realer, einsatzrelevanter Transformationsbarrieren vorbereiten. Dies fördert die Passung zwischen theoretischer Ausbildung und praktischer Berufsausübung und stärkt die Handlungsfähigkeit der Absolvent:innen im Einsatz. Insgesamt leistet die Operationalisierung des Begriffs Beherrschen einen zentralen Beitrag zur curricularen Gestaltung und Qualitätsentwicklung. Sie schafft einen verbindlichen, transparenten und adaptiven Bezugsrahmen, der sowohl die Entwicklung als auch die kontinuierliche Verbesserung von Ausbildung, Prüfung und beruflicher Praxis strukturiert und absichert. # 4 Implikationen Während Implikationen in vielen Arbeiten lediglich als lose Anmerkungen zu möglichen Anschlussfeldern dienen, ist ihre Analyse im vorliegenden Kontext integraler Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit. Denn die hier vorgenommene Begriffsbestimmung entfaltet normative Wirksamkeit in einem hochregulierten Feld, sie verbindet § 2a NotSanG (Nachweis „erlernt und beherrscht“) mit § 17 Abs. 2 NotSan-APrV (Prüfungsperspektiven) zu einem prüfmethodisch belastbaren Rahmen. Ihre Präzisierung verändert Bewertungsmaßstäbe, curriculare Ausrichtungen und institutionelle Verfahren. Daher umfasst Kapitel 4 nicht nur mögliche Anschlussfragen, sondern eine systematische Untersuchung der unmittelbaren und mittelbaren normativen Konsequenzen, die sich aus der Definition ergeben. Diese Verknüpfung ist methodisch erforderlich, da der offene Rechtsbegriff Beherrschen in Ausbildung und Prüfung nicht wertneutral anwendbar ist, sondern immer im Rahmen einer normativen Setzung vollzogen wird. Über die unmittelbaren Folgerungen hinaus ergeben sich weiterführende Implikationen für die Gestaltung von Ausbildung, Prüfung und Qualitätssicherung. Diese betreffen insbesondere die Möglichkeit, bestehende Curricula und Prüfungsformate an den präzisierten Kompetenzbegriff anzupassen, die Entwicklung evidenzbasierter Bewertungsinstrumente zu fördern und die Ausbildungspraxis stärker an den realen Anforderungen des rettungsdienstlichen Einsatzes auszurichten. Zudem wird die Grundlage für eine wissenschaftlich informierte Weiterentwicklung des Berufsbildes geschaffen. ## 4.1 Anpassung bestehender Curricula Die präzisierte Definition des Begriffs Beherrschen eröffnet die Möglichkeit, bestehende Curricula der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung systematisch zu überprüfen und gezielt anzupassen. **Rechtsdidaktische Leitlinie:** Curriculare Anpassungen müssen den Nachweis aus § 2a NotSanG über die in § 17 Abs. 2 NotSan-APrV definierten Perspektiven ermöglichen; die hier verwendeten Linsen- und Indikatorenmodelle sind genau hierfür konstruiert. Module, Kompetenzzielkataloge und Kompetenzraster können auf Basis der operationalisierten Kriterien so umgestaltet werden, dass sie klar auf die Entwicklung der definierten Operationen ausgerichtet sind. Dabei ist insbesondere die Abstimmung zwischen theoretischen Inhalten, praktischen Trainings und Prüfungsszenarien entscheidend ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). **Zwischenfazit**: Curricula, die den hier skizzierten Referenzrahmen übernehmen, richten Ausbildung, Training und Prüfung konsequent auf die nachgewiesene Beherrschung der geforderten Operationen aus. Dies sichert eine enge Passung zwischen Rechtsrahmen, didaktischer Umsetzung und Prüfungslogik. ### 4.1.8 Theoriegeleitete Herleitung Die curricular-didaktische Ausrichtung am Begriff Beherrschen folgt der Logik der Operationalisierung: Was rechtlich gefordert wird (NotSanG § 2a: „erlernt und beherrscht“), muss didaktisch als **beobachtbare Operation** vorliegen und prüfmethodisch **nachweisbar** sein. Die sechs Prüfungsperspektiven des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV stellen hierfür den normativen Beobachtungsrahmen bereit. Aus dieser Norm-Didaktik-Kopplung ergeben sich drei Grundprinzipien: 1. **Konstruktklarheit:** Das Konstrukt Beherrschen wird als unteilbare Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung) definiert. 2. **Abbildtreue (Content-Validität):** Die sechs Linsen repräsentieren den in der Verordnung angelegten Handlungsraum und verhindern, dass Teilaspekte über- oder untergewichtet werden. 3. **Nachweislogik:** Beobachtungen müssen entlang expliziter Indikatoren und begründungspflichtiger Entscheidungslogiken dokumentiert werden (Audit-Trail), damit Prüfungsentscheidungen nachvollziehbar sind. Damit entsteht ein durchgängiger Referenzrahmen **Definition → Indikator → Nachweis → Bewertung**, der den Nachweis aus § 2a NotSanG juristisch-didaktisch mit den Prüfungsperspektiven des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV verknüpft (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021). ### 4.1.9 Begründung der Design-Entscheidungen **(a) Outcomes als Operationen statt Inhaltslisten.** Kompetenzziele werden als beobachtbare Operationen formuliert. Das minimiert das Risiko der Fehlmessung (Untererfassung relevanter Aspekte; Überfrachtung durch irrelevante Inhalte) und richtet Lehre und Prüfung auf dieselbe Bezugsgröße aus. **(b) Mapping auf die sechs Perspektiven.** Die Linse-Zuordnung sichert Abbildtreue über den gesamten Handlungszyklus (von Lageeinschätzung bis Übergabe). Das reduziert systematische Lücken (z.B. gute Ausführung, aber schwache Entscheidungslogik) und beugt einseitigen Trainings („nur Skills“) vor. **(c) Indikatoren mit Begründungszwang.** Indikatoren machen das Konstrukt beobachtbar; die Pflicht zur Begründung (z.B. Indikation, Alternativen, Abweichungen) schützt vor Scheinpräzision und fördert die reflektierte Professionalität. **(d) Konkretisierte Kompetenzmerkmale.** Kontextbezogene Handlungskriterien und konkretisierte Kompetenzmerkmale verringern Inter-Rater-Varianz, machen Erwartungen transparent und erhöhen die Reproduzierbarkeit von Bewertungen. **(e) Standardisierte Nachweisformen.** OSCE/OSPE-Stationen, strukturierte Fallvignetten und Entscheidungsprotokolle erlauben kontrollierte Bedingungen, Vergleichbarkeit zwischen Kohorten und die Abbildung von Komplexität (inkl. Störungen, Zeitdruck, Re-Evaluation). **(f) Audit-Trail.** Der strukturierte Nachweis der Entscheidungs- und Handlungskette (Szenario, Kontext, Entscheidung, Maßnahme, Re-Evaluation) schafft Rechts- und Verfahrenssicherheit; Abweichungen werden begründet, nicht sanktioniert. **(g) Kalibrierung der Prüfenden.** Gemeinsame Ankerfälle, Doppelbewertungen und Inter-Rater-Checks reduzieren persönliche Bewertungsstile („streng/milde“) und stärken die Vergleichbarkeit zwischen Standorten. **(h) Simulation & deliberate practice.** Wiederholtes, fokusiertes Üben mit unmittelbarem Feedback adressiert gezielt Teilschwächen (z.B. Re-Evaluation, Priorisierung), ohne den Operatonscharakter zu verlieren. **(i) Reflexion als Leistungsbestandteil.** Strukturierte Kurzreflexionen (z.B. ISBAR (Gheisari et al., 2025)- oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024) Reflexion der Entscheidungslogik) sind expliziter Teil der Nachweise und fördern die Begründungstiefe - insbesondere bei Grenz- und Abweichungsfällen. ### 4.1.10 Implementierungspfad 1. **Vorbereitung (0-3 Monate):** Projektgruppe, Prüfungsordnung/QM-Anpassung (Rubrics^[Der Begriff Rubric stammt aus der pädagogischen Leistungsbewertung und bezeichnet ein strukturiertes Bewertungsraster mit (a) Dimensionen, (b) Kriterien, (c) Niveaustufen und (d) Ankerbeispielen. Dimensionen sind im hier verwendeten Kontext die sechs Linsen des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV; Kriterien umfassen konkretisierte Kompetenzmerkmale und kontextbezogene Handlungskriterien; Niveaustufen reichen typischerweise von „unzureichend“ bis „exzellent“; Ankerbeispiele machen jede Stufe anhand beobachtbarer Indikatoren überprüfbar. Rubrics dienen damit der prüfmethodischen Sichtbarmachung der Operation Beherrschen und ermöglichen eine vergleichbare, reliabel kalibrierte Bewertung über Prüfende, Standorte und Formate hinweg (Brookhart, 2013; Popham, 1997).], Audit-Trail, Abweichungsbegründung), Auswahl digitaler Tools. 2. **Pilotierung (4-6 Monate):** 3-4 OSCE-Stationen mit Rubrics je Linse; Doppelbewertungen; Datenerhebung zu Varianz/Ankerverständnis. 3. **Roll-out (6-12 Monate):** Skalierung auf alle Module; Kalibrierzyklen für Prüfende; Fortbildungsprogramm für Praxisanleitende. 4. **CQI (laufend):** Halbjährliche Item-/Varianzanalysen; Curriculumsmodulation anhand der Daten; Austausch im Qualitätszirkel. ### 4.1.11 Erfolgskriterien (KPIs) - **Reliabilität:** Inter-Rater-Korrelationen ↑, Bewertungsvarianz ↓. - **Validität:** Deckungsgrad zwischen Kompetenzzielen, Prüfungsaufgaben und Indikatoren ↑; Rückmeldungen der Praxispartner zur Einsatzpassung. - **Verfahrenssicherheit:** Widerspruchs-/Klagequote ↓; Begründungsqualität in Audit-Trails ↑. - **Lernwirksamkeit:** Zielerreichungsraten pro Linse ↑; Reduktion typischer Fehler (z.B. fehlende Re-Evaluation) über Kohorten hinweg. ### 4.1.12 Antizipierte Einwände und Antworten - **„Zu viel Bürokratie.“** Antwort: Der Audit-Trail ersetzt unsystematische Dokumentation durch strukturierte, rechtssichere Nachweise und spart Zeit in Widerspruchs-/Klagefällen. - **„Checklisten machen unflexibel.“** Antwort: Bewertet wird die **Operationseinheit**, nicht das Abarbeiten einzelner Punkte; begründete Abweichungen sind vorgesehen. - **„Simulation ist teuer.“** Antwort: Priorisierung auf High-impact-Szenarien, Kooperationen, gestufte Implementierung; nachweislicher Gewinn an Vergleichbarkeit und Sicherheit. **Begründungsresümee:** Die Anpassung bestehender Curricula entlang der hier hergeleiteten Logik ist kein add-on, sondern eine strukturelle Konsequenz aus dem Rechtsrahmen (NotSanG § 2a) und der Prüfarchitektur (NotSan-APrV § 17 Abs. 2). Sie erhöht Kohärenz, Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit und schafft einen belastbaren, evidenzorientierten Entwicklungsrahmen. ## 4.2 Entwicklung evidenzbasierter Bewertungsinstrumente Die Operationalisierung von Beherrschen verlangt Bewertungsinstrumente, die (a) den Rechtsrahmen eindeutig abbilden, (b) die systemtheoretische Konstruktion als **Operation** erfassen und (c) unter realistischen Bedingungen verlässlich und fair eingesetzt werden können. **Normbezug:** Jedes Instrument muss den Nachweis des Beherrschens nach § 2a NotSanG ermöglichen und zugleich die Vollständigkeit gegenüber § 17 Abs. 2 NotSan-APrV sicherstellen. Evidenzbasiert meint hier zweierlei: erstens **prüfmethodische Evidenz** (Validität, Reliabilität, Fairness, Transparenz) und zweitens **fachlich-klinische Evidenz** (Leitlinien-/Pfadbezug der Szenarien und Entscheidungslogiken). Nur die Verbindung beider Ebenen schafft belastbare Nachweise für den in § 2a NotSanG geforderten Status „erlernt und beherrscht“ sowie die Anschlussfähigkeit an die sechs Prüfungsperspektiven des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021). ### 4.2.1 Ableitungslogik: Vom Konstrukt zum Instrument **Konstrukt → Indikator → Aufgabe (Item/Task) → Bewertungsmerkmal.** - **Konstrukt:** Beherrschen als Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung). - **Indikatoren:** Perspektivenspezifische Beobachtungsmerkmale je § 17-Linse (z.B. Prioritätensetzung, Differenzialdiagnostik, Stop-Rules, Störungsmanagement, Abweichungsbegründungen). - **Aufgaben/Tasks:** OSCE-Station, strukturierte Fallvignette, Einsatzbeobachtung, Entscheidungsprotokoll. - **Bewertungsmerkmale:** Ankergeführte Rubrics je Linse (Niveaustufen), ergänzend kritische Fehler/Red-Flags (Patient:innensicherheit). *Begründung:* Diese Kette sichert **Content-Validität** (Abbildtreue zum Rechts- und Prüfungsrahmen) und macht das Konstrukt beobachtbar (BMG, 2012). ### 4.2.2 Instrumententypen und ihr Einsatzbereich **(a) OSCE/OSPE-Stationen** Standardisierte Stationsprüfungen mit klaren Rollen, Zeitfenstern und Materialsätzen. *Stärken:* Hohe Standardisierung, gute Vergleichbarkeit, Beobachtung der Operation unter Zeit- und Kontextdruck^[In ihrer klassischen Form sind OSCE/OSPE primär auf das strukturierte Abprüfen isolierter Wissenselemente und Fertigkeiten ausgerichtet; für den hier verwendeten Kompetenzbegriff müssen sie jedoch inhaltlich und bewertungslogisch so adaptiert werden, dass sie die vollständige Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung) gemäß der Definition von Beherrschen abbilden.]. *Grenzen:* Stationen bilden nur Ausschnitte; Bedarf an mehreren Stationen zur Abdeckung aller Linsen. **(b) Strukturierte Fallvignetten (Paper/Computer-basiert)** Abprüfen von Unterscheidung/Analyse/Beurteilung, inkl. Entscheidungsbegründung und Re-Evaluation. *Stärken:* Tiefe in Entscheidungslogik; ökonomisch. *Grenzen:* Psychomotorik nur indirekt erfasst. **(c) Direkte Beobachtung im Einsatz (DOPS-ähnlich)** Standardisierte Kurzbeobachtung von Prozeduren/Operationssequenzen im Realbetrieb mit Rubrics. *Stärken:* Hohe ökologische Validität; Übertrag in den Alltag. *Grenzen:* Geringere Kontrollierbarkeit, mehr Störvariablen; Bedarf an Kalibrierung der Beobachter:innen. **(d) Entscheidungsprotokoll & Videoreflexion** Strukturierte Dokumentation der Entscheidungswege (Indikation, Alternativen, Abweichungen, Re-Evaluation) plus kurze Reflexion. *Stärken:* Sichtbar machende Begründungstiefe; anschlussfähig an Audit-Trail. *Grenzen:* Zusätzlicher Dokumentationsaufwand - rechtfertigt sich über Rechts-/Nachvollziehbarkeitsgewinn. ([[Analytisches Reflexionsnetzwerk]]) > [!info] Einordnung der Szenarienmethode > OSCE/OSPE sind standardisierte Prüfdesigns und keine Modelle zur Abbildung von Lern- oder Kompetenzentwicklungsstufen. Ihre Aussagekraft hängt vollständig von einem klar definierten, kompetenzorientierten Blueprint ab. Die hier eingesetzte Szenarienmethode ist als integratives OSCE konzipiert. Sie bildet die vollständige Operation - Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung d.h. unter Einbezug dynamischer Rückkopplung ab und verknüpft jede Beobachtung explizit mit den sechs Perspektiven des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV. OSPE-artige Mikro-Tasks dienen der Absicherung prozeduraler Mindeststandards (Sicherheitsminima), während OSCE-Sequenzen die begründete, evidenzgestützte Zielrichtung unter realitätsnahem Zeit- und Kontextdruck prüfen. Damit wird der OSCE/OSPE-Rahmen von einer überwiegend wissens- oder fertigkeitenorientierten Abfrage in ein valides, kompetenzorientiertes Messinstrument transformiert. ### 4.2.3 Bewertungssysteme: Kompetenzorientierte Leistungsanforderungen, Checklisten und kritische Fehler Kompetenzorientierte Leistungsanforderungen bilden die Operationseinheit ab (nicht nur Skills). Bewertet wird die vollständige und kontextangemessene Erfüllung der relevanten Kompetenzindikatoren anhand von konkretisierten, kontextbezogenen Handlungskriterien je § 17-Linse. Checklisten können zur Mindeststandard-Absicherung genutzt werden (Sicherheitschecks), werden aber nicht zur Hauptbewertung gemacht, um die „Checklistenfalle“ zu vermeiden. Kritische Fehler/Red-Flags (z.B. keine Oxygenationskontrolle bei Hypoxie) führen zu unmittelbarer Abwertung, weil Patient:innensicherheit Vorrang hat. Diese Anordnung entspricht der normativen Struktur des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV und macht den Rechtsnachweis aus § 2a NotSanG prüfmethodisch belegbar. *Begründung:* Die Kombination aus globaler Leistungsbewertung anhand der kompetenzorientierten Nachweisformen und Sicherheitsminima schafft Reliabilität und Patient:innenschutz. ### 4.2.4 Standardsetzung (Cut-Scores) und Grenzfälle Das Standard-Setting erfolgt transparent (Prüfungskommission) und methodisch begründet, bspw. Angoff, Borderline-Group/Regression oder Hofstee, abhängig vom Format. Grenzfälle (z.B. starke Zielrichtung, aber formale Dokumentationslücken) werden in Prüfungskonferenzen mit Audit-Trail entschieden; patient:innensichere Zielrichtung hat Vorrang, formale Defizite führen zu Auflagen. Formalisierte Standardsetzungsverfahren erhöhen die Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen und sind Ausdruck der rechtskonformen Umsetzung der §§ 2a NotSanG, 17 Abs. 2 NotSan-APrV. *Begründung:* Nachvollziehbare Standards erhöhen Bestandskraft im Widerspruchs-/Klagefall und reduzieren Willkür. ### 4.2.5 Psychometrische Güte: Reliabilität, Validität, Fairness - **Reliabilität:** Inter-Rater-Zuverlässigkeit (z.B. ICC) durch Doppelbewertungen/Kalibrierung; Prüfungszuverlässigkeit durch mehrere Stationen/Tasks pro Perspektive (Streuungsreduktion). - **Validität:** 1. *Content-Validität* durch Linsen-Blueprint (Abdeckung § 17 Abs. 2). 2. *Konstrukt-Validität* durch Zusammenhänge zwischen Indikatoren derselben Operation (z.B. Analyse ↔ Versorgungssequenz). 3. *Kriteriums-Validität* durch Bezug zu Einsatzindikatoren (z.B. Dokumentationsqualität, Re-Evaluation im Feld). - **Fairness/Barrierefreiheit:** Klare Sprache, redundante Hinweise (visuell/akustisch), angemessene Nachteilsausgleiche ohne Senkung der Sicherheitsstandards. *Begründung:* Nur geprüfte Gütekriterien legitimieren den Einsatz als hoch-stakes-Instrumente. ### 4.2.6 Kalibrierung der Prüfenden Pflichtprogramm: - Ankerfälle / Referenzvideos, - gemeinsame Bewertungsübungen, - Inter-Rater-Checks (regelmäßig), - Feedback-Schleifen (Varianzberichte je Prüfer:in) und - jährliche Refreshers. Rollen klar trennen (Praxisanleitung ≠ Prüfer:in). *Begründung:* Kalibrierung reduziert Bewertungsstil-Varianz (streng/mild) und erhöht die Vergleichbarkeit zwischen Standorten. ### 4.2.7 Dokumentation und Audit-Trail Jede Prüfung erzeugt einen Audit-Trail: - Szenario, - Kontextfaktoren, - Entscheidungen, - Begründungen, - Maßnahmen, - Re-Evaluation, - Ergebnis; Bewertung anhand kompetenzorientierter Leistungsanforderungen und Freitext. Abweichungen von Standardpfaden werden begründet und nicht per se negativ gewertet (Evidenzbezug). Der Audit-Trail bildet die juristisch geforderte Nachvollziehbarkeit und Begründungspflicht ab und schließt die Beweiskette zwischen Norm (§ 2a NotSanG) und Vollzug (§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV). *Begründung:* Der Audit-Trail schafft Rechts- und Verfahrenssicherheit und ermöglicht nachträgliche Prüfung/Qualitätsentwicklung. ### 4.2.8 Digitale Infrastruktur und Datenschutz Erforderlich sind Assessment-Tools (OSCE-App/Prüfungssoftware) mit - Versionskontrolle, - Offline-Fähigkeit, - Exportfunktionen, - rollenbasierten Rechten und - revisionssicherer Ablage. Datenschutz ist gemäß geltendem Recht zu gewährleisten (Protokollierung, Zugriff, Aufbewahrungsfristen). *Begründung:* Digitale Systeme erhöhen Verlässlichkeit, Auswertbarkeit und Nachvollziehbarkeit. ### 4.2.9 Risikoanalyse und Gegenmaßnahmen - **Checklisten-Monokultur:** → Rubrics priorisieren, Checklisten nur für Sicherheitsminima. - **Algorithmus-Drill statt Professionalität:** → Szenarien mit Störungen/Abweichungen, Bewertung der **Begründung** und **Re-Evaluation**. - **Prüfenden-Bias:** → Doppelbewertungen, Kalibrierung, Trennung von Rolle und Bewertung. - **„Teaching to the test“:** → Breites Szenario-Portfolio, Item-Rotation, Item-Analyse. *Begründung:* Risiken sind systemisch, daher werden Gegenmaßnahmen strukturell verankert. ### 4.2.10 Beispielstation (kompakt) > [!warning] Die hier dargestellte Beispielstation dient der Veranschaulichung und ist nicht als vollständige Darstellung eines realen Einsatzszenarios zu verstehen. **Szenario:** 65-jährige Person, akute Atemnot, SpO₂ 84 % RA, Tachypnoe, Zyanose, bekannte COPD. **Linsen-Mapping:** 1. Lageeinschätzung: Atemarbeit, Gefährdungen; 2. Arbeitsdiagnose: Exazerbation vs. Lungenembolie; 3. Gerät: O₂-Gabe, Monitoring; 4. Maßnahmen: Titration O₂, Bronchodilatatoren, ggf. CPAP nach Indikation, Eskalationskriterien; 5. Dokumentation: Indikation, Re-Evaluation, Abweichungen; 6. Transport/Übergabe: Zielklinik, ISBAR (Gheisari et al., 2025) oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024). **Konkretisierte Kompetenzmerkmale (Auszug):** Nachweis der Kompetenz erfolgt, wenn Hypoxie-Risiken erkannt werden, COPD-Exazerbation von Alternativen differenziert wird, O₂ indikationsgerecht titriert wird, die Entscheidung zur CPAP-Einleitung nachvollziehbar begründet oder abgelehnt wird und Re-Evaluation sowie Abweichungen dokumentiert werden. *Begründung:* Das Beispiel zeigt, wie die Operation über alle Linsen anhand von kontextbezogenen Handlungskriterien beobachtbar und bewertbar wird, ohne Ergebnisfixierung, aber mit klarer Zielrichtung und Patient:innensicherheit. **Zwischenergebnis:** Evidenzbasierte Bewertungsinstrumente entstehen nicht aus Formatpräferenzen, sondern aus der Logik des Konstrukts Beherrschen und seinem Rechts-/Prüfrahmen. Der Mix aus OSCE/OSPE, Vignetten, Einsatzbeobachtung, Entscheidungsprotokoll und Videoreflexion - kalibriert, standardgesetzt und auditierbar - ermöglicht verlässliche Nachweise für „erlernt und beherrscht“ (BMG, 2012). ## 4.3 Ausrichtung an realen Einsatzanforderungen Die Operationalisierung von Beherrschen über einsatzrelevante Transformationsbarrieren stellt sicher, dass Ausbildung und Prüfung nicht an idealisierten Lehrbuchsituationen, sondern am tatsächlichen Vollzug des Rettungsdienstes ausgerichtet sind. **Normbegründung:** Der Einsatzbezug ist keine Option, sondern folgt aus der Konstruktion des § 17 Abs. 2 NotSan-APrV als handlungsbezogene Prüfungsnorm und aus § 2a NotSanG als Tätigkeitsvoraussetzung. Ziel ist eine konsistente Passung zwischen Kompetenzzielen, Trainingsdesign und Prüfungsarchitektur auf der einen sowie den realen Entscheidungs- und Handlungslagen im Einsatz auf der anderen Seite (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021). Im Folgenden wird diese Passung theoriegeleitet hergeleitet und praktisch begründet. ### 4.3.1 Einsatzkategorien und Transformationsbarrieren Die Barrieren, die im Einsatz zu überwinden sind, lassen sich entlang typischer **Einsatzkategorien** strukturieren. Jede Kategorie bringt wiederkehrende Muster an **Wahrnehmungs-**, **Analyse-/Beurteilungs-** und **Ausführungsbarrieren** mit sich. Beispielhafte Struktur: - **Vitalbedrohliche Akuthemen** (z.B. Atemweg, Kreislauf, Bewusstsein): Zeitkritik, Prioritätensetzung, Eskalationslogik, Teamkoordination. - **Hochvolatile Lagen** (z.B. dynamische Traumata, toxikologische Ereignisse): Situationsumschwung, Gefährdungsbeurteilung, Ressourcensteuerung, Re-Evaluation in kurzen Zyklen. - **Komplex-Chronische Situationen** (z.B. geriatrische Multimorbidität): Unscharfe Leitsymptome, Differenzialdiagnostik, Polypharmazie-Risiken, Zielklarheit. - **Psychosoziale/Kommunikative Lagen** (z.B. Suizidalität, Aggression, Sprachbarrieren): Deeskalation, Einbindung Dritter, rechtliche Rahmen (z.B. PsychKG), Dokumentation. - **Großschadens-/Massenanfall-Lagen**: Triage-Routinen, Führungs-/Lagebildkompetenz, Schnittstellen (z.B. Leitstelle, Klinik). *Begründung:* Die Kategorien operationalisieren „kontextrelevant“ und erlauben, standardisierte, aber realitätsnahe Szenariofamilien zu bilden, die den § 17-Linsen systematisch zugeordnet werden können. ### 4.3.2 Szenario-Portfolio und Eskalationslogiken Aus den Einsatzkategorien wird ein **Szenario-Portfolio** entwickelt, das die Breite und Tiefe realer Lagen abdeckt. Die Szenarien bestehen modular aus: 1. **Einsatzort** (räumlicher und situativer Kontext), 2. **Fallbeschreibung** - kognitiv, d.h. schriftlich und/oder mündlich präsentiert, 3. **Falldarstellung** - psychomotorisch, d.h. praktische Prüfung bzw. Simulation als Ausgangssituation. Ab $t = 0$ (Eintreffen der Handelnden) setzt eine dynamische Zusammenwirkung von Handlung und medizinischer Entwicklung ein. Der Ablauf ist so gestaltet, dass Entscheidungen und Maßnahmen der Handelnden eine unmittelbare Rückkopplung in der Fallentwicklung bewirken (z.B. Vitalparameterverlauf, Auftreten von Komplikationen). Auf diese Weise werden sowohl die Qualität der Unterscheidung, Analyse und Beurteilung als auch die Ausführung in Echtzeit anstelle eines starren Abarbeitens vorgegebener Algorithmen beobachtbar. ### 4.3.3 Re-Evaluation und Adaptivität als Kernkriterien Beherrschen zeigt sich besonders in der Adaptivität unter sich verändernden Bedingungen. Daher werden Re-Evaluation und Umsteuerungsfähigkeit explizit als Indikatoren in allen sechs Linsen verankert (z.B. erneute Vitalparameter, Hypothesenupdate, Dosisanpassung, Abbruch-/Stop-Rules). *Begründung:* Einsatzrealität ist nicht statisch; ohne Re-Evaluation entsteht Scheinpräzision. Die Verankerung schützt vor Algorithmus-Drill und fördert reflektierte Professionalität. ### 4.3.4 Evidenz- und Pfadbezug ohne Ergebnisfixierung Szenarien referenzieren **Leitlinien/Behandlungspfade** (ALRD-Standards, Klinikpfade) und definieren **Indikations- und Abweichungsbegründungen** als Nachweiserfordernis. Bewertet wird die **evidenzbasierte Zielrichtung** und die **plausible Begründung**, nicht der Zufalls-Outcome. *Begründung:* So wird Patient:innensicherheit priorisiert und zugleich **innovations- und lageangemessene** Abweichung ermöglicht - dokumentiert im Audit-Trail (NotSanG § 2a; NotSan-APrV § 17 Abs. 2). ### 4.3.5 Feld-Datenrückführung („Learning System“) Einsatzdaten (z.B. Dokumentationsqualität, Häufigkeit von Re-Evaluationen, Abweichungsbegründungen) fließen als **Kennzahlen** in Lehre und Prüfung zurück: - **Curriculum-Tuning:** Häufungen typischer Fehleinschätzungen → gezielte Kompetenzziele/Szenarien. - **Rubric-Pflege:** Indikatoren mit geringer Trennschärfe → Anpassung der Anker. - **Szenario-Update:** Neue Muster in der Region (z.B. Vergiftungen, Heat-Events) → Portfolio ergänzt. *Begründung:* Der Rahmen wird **lernfähig**; empirische Daten schließen die Schleife zwischen Feld und Ausbildung (). ### 4.3.6 Mindeststandards und Handlungsspielräume Zur Balance zwischen Sicherheit und Professionalität werden **Sicherheitsminima** (kritische Fehler/Red-Flags) definiert und von **Ermessensspielräumen** abgegrenzt (z.B. alternative Sequenzen/Mittel bei gleicher Zielrichtung). *Begründung:* Diese Trennung verhindert, dass Standardisierung zur Ergebnisdeterministik wird, und schützt zugleich vor patient:innengefährdender Varianz (NotSan-APrV § 17 Abs. 2). ### 4.3.7 Implementierung im Ausbildungsverbund - **Lernortkoordination:** Gemeinsame Szenario-Roadmaps Schule-Praxis-ÄLRD; jährliche Abgleichkonferenz. - **Prüfungskompatibilität:** Ausbildungs-Szenarien spiegeln Prüfungsanforderungen (Linsen/Indikatoren), ohne „Teaching-to-the-test“. - **Rollenklärung:** Praxisanleitung trainiert, Prüfende bewerten; **Kalibrierung** auf beiden Seiten (Videofälle, Ankerbeispiele). *Begründung:* Nur ein abgestimmter Verbund verhindert Brüche zwischen Unterricht, Einsatzbegleitung und Prüfung. ### 4.3.8 Indikatoren und KPIs für Einsatznähe Zur Überprüfung der Einsatznähe werden **prozess- und ergebnisnahe** Kennzahlen genutzt: - **Prozess-KPIs:** Re-Evaluation-Rate, dokumentierte Abweichungsbegründungen, Zeit bis Erstmaßnahme, Vollständigkeit der Lageeinschätzung. - **Qualitäts-KPIs:** Konsistenz von Arbeitsdiagnosen, Plausibilität von Indikationen, Häufigkeit sicherheitsrelevanter Fehler. - **Transfer-KPIs:** Übereinstimmung zwischen Simulations- und Einsatzverhalten, Feedback der Praxispartner, Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen. *Begründung:* KPIs machen **Einsatzpassung** sichtbar und steuern die kontinuierliche Qualitätsentwicklung (CQI). **Ergebnis:** Die Ausrichtung an realen Einsatzanforderungen ist keine dramaturgische Anreicherung der Lehre, sondern eine direkte Konsequenz aus der begrifflichen und prüfmethodischen Fassung von Beherrschen. Ausbildungsziele, Szenarien und Prüfungen werden so gestaltet, dass die **Operation** unter den Bedingungen des Feldes beobacht-, prüf- und dokumentierbar wird - anschlussfähig an Rechtsrahmen und Leitlinien, ohne in Ergebnisfixierung oder Algorithmus-Drill zu verfallen (BMG, 2012; SK Verlag, 2021; ). ## 4.4 Förderung interdisziplinärer Anschlussfähigkeit Die präzisierte Fassung von Beherrschen als Operation schafft eine gemeinsame Referenzsprache zwischen Pädagogik, Medizin, Recht und Verwaltung. Sie bündelt unterschiedliche Rationalitäten (didaktische Wirksamkeit, klinische Sicherheit, rechtliche Nachvollziehbarkeit, verwaltungspraktische Umsetzbarkeit) auf einen beobacht-, prüf- und dokumentierbaren Kern. Damit wird nicht nur Kommunikation erleichtert. Damit entstehen belastbare Schnittstellen- und Governance-Strukturen, die den Vollzug von Ausbildung und Prüfung konsistenter machen (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021). ### 4.4.1 Ausgangslage: Polyphonie ohne gemeinsame Semantik Bislang wurde Beherrschen in den Feldern pädagogisch, **medizinisch**, **rechtlich** und verwaltungspraktisch unterschiedlich verwendet: als Fähigkeitslabel, als klinische Sicherheitserwartung, als offener Rechtsbegriff (§ 2a NotSanG), als Vollzugsstandard (Erlasse/ALRD-Vorgaben). Ohne gemeinsame Semantik führten diese Deutungen zu Reibungs- und Übersetzungsverlusten - in Curricula, Prüfungen und Rechtsverfahren. Die Operationalisierung (Unterscheidung-Analyse-Beurteilung-Ausführung) bietet hier einen anschlussfähigen kleinsten gemeinsamen Nenner. ### 4.4.2 Brückenkonzept: Operation + Linsen + Audit-Trail Interdisziplinäre Anschlussfähigkeit entsteht, wenn alle Beteiligten auf drei gemeinsame Artefakte referenzieren: 1) die **Operation** als Bewertungsobjekt, 2) die **sechs Linsen** (§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV) als Beobachtungsraster, 3) den **Audit-Trail** als Dokumentations- und Begründungsmedium. Diese Trias übersetzt pädagogische, klinische und rechtliche Anforderungen in kompatible Nachweise (NotSanG § 2a; BMG, 2012). ### 4.4.3 Governance: Rollen, Gremien, Entscheidungen - **Curriculum-/Prüfungskommission** (Schule, Praxis, ÄLRD, ggf. BRG): setzt Rubrics, Mindeststandards und Grenzfall-Verfahren fest; beschließt Standard-Setting (z.B. Angoff / Borderline). - **Abweichungsboard** (Schule & ÄLRD): prüft dokumentierte Abweichungsbegründungen aus Ausbildung/Einsatz, entscheidet fallbezogen, speist Lehren in Pfad-/Curriculumspflege zurück. - **Kalibrierzirkel Prüfende**: Inter-Rater-Checks, Referenzfälle, Varianzberichte; jährliche Rezertifizierung als Prüfer:in. *Begründung:* Entscheidungen werden vorhersehbar (Standards), gerecht (paritätische Besetzung) und nachvollziehbar (Audit-Trail). ### 4.4.4 Gemeinsame Artefakte für Sprache & Praxis - **Begriffs- und Indikatorenkatalog** (Glossar Beherrschen): Definitionen, Indikatoren je Linse, Red-Flags; APA-konforme Quellenverweise. - **Rubric-Bibliothek**: niveaubeschreibende Anker je Linse, Format-übergreifend (OSCE/OSPE, Vignette, DOPS). - **Abweichungsleitlinie**: Wann ist eine Abweichung zulässig? Welche **Begründungsfelder** sind zu dokumentieren (Indikation, Risiko-Nutzen, Alternativen, Evidenz, Re-Evaluation)? - **OSCE-Szenariobank**: Szenarien mit Eskalationspfaden und Re-Evaluation-Triggern, versionskontrolliert. - **Audit-Trail-Template**: einheitliche Struktur (Szenario → Entscheidung → Maßnahme → Re-Evaluation → Ergebnis) zur rechtssicheren Ablage. *Begründung:* Geteilte Artefakte erzeugen konsistente Praxis über Lernorte und Institutionen hinweg (NotSan-APrV § 17 Abs. 2). ### 4.4.5 Kommunikations- und Reviewformate - **Fallkonferenzen** (monatlich): Schule-Praxis-ÄLRD; Analyse realer Fälle mit Fokus auf Barrierenwahrnehmung, Entscheidungslogik, Re-Evaluation. - **No-blame-Reviews** (quartalsweise): systemische Fehleranalyse; Trennung von Person und Prozess; Ableitung curricularer/organisationaler Maßnahmen. - **Evidence-Updates** (halbjährlich): Leitlinien-/Pfadänderungen, Konsequenzen für Rubrics/Szenarien. - **Linsen-Kalibrierungen** (mind. halbjährlich): gemeinsame Bewertung von Referenzvideos; Inter-Rater-Report. *Begründung:* Regelmäßige, ritualisierte Formate stabilisieren die gemeinsame Semantik im Alltag ([[Disjunkte Lernort-Evaluation]]). ### 4.4.6 Implementierungspfad 1) **0-3 Monate:** Erstellung des Glossar-Entwurfs, Entwicklung der ersten Rubrics, Fertigstellung des Audit-Trail-Templates, formale Konstitution der Gremien mit klar definierten Rollen und Entscheidungsbefugnissen. 2) **4-6 Monate:** Durchführung von Pilot-Fallkonferenzen und Kalibrierzirkeln, Start der Szenariobank mit ersten standardisierten Szenarien, Veröffentlichung der Abweichungsleitlinie (Version 1) inklusive Begründungspflichten und Dokumentationsvorgaben. 3) **6-12 Monate:** Vollständiger Roll-out auf alle Module und Prüfungsformate, Etablierung des jährlichen Kalibrier-Zyklus für alle Prüfenden, verbindliche Verankerung der Instrumente und Verfahren in Prüfungsordnung und Qualitätsmanagementsystem. *Begründung:* Der gestufte Implementierungspfad schafft von Beginn an Verbindlichkeit, verhindert Schattennormsetzung und sorgt für eine kontrollierte, nachvollziehbare Einführung aller Standardisierungselemente. ### 4.4.7 Risiken und Gegenmaßnahmen - **Dominanz einzelner Logiken** (z.B. rein medizinische Sicht): → paritätische Gremien, Rotationsvorsitz, Konsens-/Begründungspflicht. - **Formalismus statt Professionalität**: → Rubrics bewerten die vollständige Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung), Checklisten dienen ausschließlich der Absicherung von Sicherheitsminima. - **Intransparenz**: → öffentliche (interne) Dokumentation von Standards, Beschlüssen und Änderungen (Versionierung). - **Ressourcendruck**: → Priorisierung High-impact-Formate, Kooperationen, digitale Tools. ### 4.4.8 Indikatoren & KPIs für Anschlussfähigkeit - **Kommunikations-KPIs:** Zeit bis Fallkonferenz-Beschluss; Teilnahmequoten; Zahl gemeinsam beschlossener Anpassungen. - **Bewertungs-KPIs:** Inter-Rater-Varianz ↓; Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen ↑. - **Pfad-/Curriculum-KPIs:** Turnaround-Zeit für Leitlinienupdates in Rubrics/Szenarien; Zahl und Qualität der Abweichungsbegründungen. - **Verfahrens-KPIs:** Widerspruchsquote ↓; Dauer bis Aktenlage-Klärung (Audit-Trail) ↓. *Begründung:* KPIs machen Fortschritt sichtbar und ermöglichen gezieltes Nachsteuern im Verbund (MAGS NRW, 2025). **Fazit:** Interdisziplinäre Anschlussfähigkeit entsteht nicht durch Appelle, sondern durch gemeinsam getragene Artefakte, Gremien und Verfahren. Die hier vorgeschlagene Architektur verknüpft die Operation Beherrschen mit Linsen und Audit-Trail zu einer tragfähigen, rechts- und didaktikfähigen Sprache, die Ausbildung, Prüfung und Vollzug synchronisiert (NotSanG § 2a; NotSan-APrV § 17 Abs. 2; BMG, 2012; ). ## 4.5 Wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung des Berufsbildes Die präzise Fassung von Beherrschen als Operation (Unterscheidung, Analyse, Beurteilung, Ausführung) eröffnet erstmals einen konsistenten Forschungs- und Entwicklungsrahmen für das Berufsbild Notfallsanitäter:in. Sie übersetzt den offenen Rechtsbegriff (§ 2a NotSanG) und die prüfungsrechtliche Struktur (§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV) in messbare Konstrukte, die sich empirisch prüfen, vergleichen und weiterentwickeln lassen (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021; ). Im Folgenden werden Forschungslinien, Messansätze, Datengrundlagen und Governance-Implikationen hergeleitet und begründet. ### 4.5.1 Forschungsprogramm: Leitfragen und Hypothesen Aus der Operationalisierung ergeben sich die folgenden **Leitfragen**: 1. **Messbarkeit**: In welchem Ausmaß erfassen die kompetenzorientierten Leistungsanforderungen je § 17-Linse tatsächlich die intendierte Operation (Konstrukt-Validität)? 2. **Prognosekraft**: Inwiefern sagt die in Prüfung/Simulation nachgewiesene Erfüllung der Kompetenzanforderungen das Einsatzverhalten voraus (Kriteriums-Validität)? 3. **Wirksamkeit**: Welche Lehr-/Prüfdesigns erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Operation unter Feldbedingungen gelingend vollzogen wird (Wirksamkeitsnachweise von Simulation, deliberate practice, Reflexion)? 4. **Fairness**: Wie wirken sich Format, Sprache, Stressoren oder Prüfer:inneneffekte auf die Ergebnisgerechtigkeit aus (Bias, Barrierefreiheit)? **Arbeits-Hypothesen** (beispielhaft): H1: Die vollständige Erfüllung der Kompetenzindikatoren in den Perspektiven *Arbeitsdiagnose* und *Re-Evaluation* korreliert positiv mit der Konsistenz klinischer Entscheidungen im Feld (z.B. dokumentierte Indikationsbegründungen). H2: Kalibrierte OSCE-Stationen mit konkretisierten Kompetenzmerkmalen und kontextbezogenen Handlungskriterien reduzieren Inter-Rater-Varianz signifikant gegenüber nicht kalibrierten mündlich-praktischen Prüfungen. H3: Szenarien mit expliziten **Abweichungsbegründungen** (Audit-Trail) verbessern die Begründungstiefe und verringern sicherheitsrelevante Fehler gegenüber rein algorithmischen Drills (SK Verlag, 2021). ### 4.5.2 Messmodelle und Datendesign **Psychometrie**: Einsatz von Generalizability Theory (G-Studien) zur Schätzung von Varianzanteilen (Person, Prüfer:in, Station/Task), ergänzt um Many-Facet Rasch Models (MFRM) zur Korrektur prüfenden-/stationsbezogener Schärfen. Validität: - *Content-Validität*: Blueprint-Abdeckung aller sechs Linsen (§ 17 Abs. 2 NotSan-APrV). - *Konstrukt-Validität*: konvergente/divergente Muster (z.B. *Analyse* ↔ *Versorgungsmaßnahmen*), Faktorenmodelle. - *Kriteriums-Validität*: Korrelation mit Feld-Indikatoren (z.B. Re-Evaluation-Rate, Abweichungsbegründungen, Dokumentationsqualität). **Designs**: - Längsschnittkohorten (Beginn → Examen → erstes Berufsjahr), - Prä-Post-Vergleiche von Curriculumsinterventionen (z.B. Einführung der Rubrics), Querschnitte für Standort-Benchmarking. *Begründung:* Nur robuste Messmodelle machen die Konstrukte „operationale Beherrschung“ und „Prüfzuverlässigkeit“ wissenschaftlich anschlussfähig und steuerbar (). ### 4.5.3 Datenquellen und Kennzahlen (Praxis-Alignment) **Prüfungsdaten**: Erfüllung der Kompetenzindikatoren (z.B. anhand von Beobachtungskriterien für die Operation Beherrschen), kritische Fehler, Freitexte der Begründungen, Zeitmaße (z.B. bis Erstmaßnahme). **Praxisdaten**: Einsatzprotokolle (Indikations-/Abweichungsbegründungen, Re-Evaluation-Zyklen), Übergabequalität ( ISBAR (Gheisari et al., 2025) oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024) Skalen), Follow-up-Indikatoren (z.B. Prozesszeiten, nicht outcome-fixiert). **Bildungsprozesse**: Teilnahme an Simulation/Reflexion, Kalibriertrainings, OSCE-Exposure. *Kennzahlen*: Inter-Rater-ICC, Standardfehler der Messung, Blueprint-Coverage, Re-Evaluation-Rate, Häufigkeit sicherheitsrelevanter Fehler, Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen (Widerspruchsquote). *Begründung:* Die Kopplung von Prüfungs- und Praxiskennzahlen schafft ein **Learning System**, das Curricula und Prüfungen datenbasiert iteriert (NotSan-APrV § 17 Abs. 2). ### 4.5.4 Transfer in Fort- und Weiterbildung (CPD) und Rezertifizierung Die Operation Beherrschen liefert durchgängige Maßstäbe von der Erstausbildung bis zur berufsbegleitenden Fortbildung: - **CPD-Module** spiegeln die sechs Linsen; Nachweise erfolgen über Mini-OSCEs/DOPS mit Audit-Trail. - **Rezertifizierung** koppelt sich an Nachweise anhand kompetenzorientierter Leistungsanforderungen statt an Stundenlisten; Abweichungsbegründungen werden als **Professionalitätsmarker** anerkannt, wenn sie evidenzbasiert sind. *Begründung:* So entsteht ein **kohärentes Kompetenzkontinuum**, das Patient:innensicherheit und Berufsethos stärkt (). ### 4.5.5 Professionalisierung und Rollenbild Die begründete Operation rückt urteilende Verantwortlichkeit vor reine Prozedurenbeherrschung. Das Berufsbild verschiebt sich vom „Algorithmusvollstrecker“ zum begründenden Professional; Entscheidungen werden sichtbar, überprüfbar und anschlussfähig - für Kolleg:innen, Ärztliche Leitung, Recht und Verwaltung. *Begründung:* Dies erhöht die berufliche Autonomie, ohne den Rechtsrahmen zu verlassen (§ 2a NotSanG) und stärkt die externe Legitimationskraft des Berufs. ### 4.5.6 Governance und Policy-Anschluss Die empirisch fundierte Operationalisierung dient als Referenz für Prüfungsordnungen, Landeserlasse und ALRD-Standards. - **Standardsetzung**: Landesweite Rubric-Standards je Linse; definierte Sicherheitsminima und Abweichungsleitlinien. - **Anerkennungsverfahren**: Prüfer:innendefinitionen (Kalibrierpflicht, Rezertifizierung), Anerkennung von OSCE-Zentren. *Begründung:* Einheitliche, evidenzbasierte Maßstäbe erhöhen Vergleichbarkeit und Rechtssicherheit über Standorte/Länder hinweg (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021). ### 4.5.7 Ethik, Datenschutz und Forschungszugang **Ethik**: No-blame-Prinzip, Trennung Lern-/Sanktionslogik, Zustimmung zu Video-/Datenverwendung. **Datenschutz**: Rollen-/Rechtemanagement, Pseudonymisierung, Aufbewahrungsfristen, dokumentierte Löschkonzepte. **Zugang**: Kooperationsvereinbarungen Schule-Träger-ÄLRD; klare Zweckbindung der Daten (Qualität, Forschung). *Begründung:* [[Professionalisierung]] verlangt **vertrauensfähige Datenpraktiken**, sonst bricht das Learning System. ### 4.5.8 Veröffentlichungs- und Diskursstrategie **Transparenz**: öffentliche (interne) Dokumentation von Standards, Rubrics, Szenarien (Versionierung). **Wissenschaft**: Peer-reviewte Publikationen (Psychometrie, Wirksamkeit), Konferenz-Sessions mit Live-Kalibrierungen. **Praxis**: Handreichungen, Referenzvideos, Train-the-Trainer-Pakete. *Begründung:* Sichtbarkeit sichert **Diskursführerschaft** und erleichtert die Übernahme durch andere Standorte. ### 4.5.9 Grenzen und Forschungsbedarf - **Kontextgebundenheit**: Regionale Pfade, Ressourcen, Einsatzprofile beeinflussen Messwerte → Bedarf an **lokaler Normierung** und Cross-Site-Vergleichen. - **Outcome-Unschärfe**: Klinische Endpunkte sind multifaktoriell; der Fokus bleibt auf Prozess-/Begründungsqualität. - **Ressourcen**: Simulation/Datenerhebung sind aufwändig → stufenweise Implementierung, Kooperationen. *Konsequenz:* Fortlaufende Methodenpflege (Rubrics, Anker, KPIs) ist Teil der [[Professionalisierung]]. Mit der hier vorgelegten Operationalisierung wird das Berufsbild Notfallsanitäter:in empirisch adressierbar. Was das Gesetz als „erlernt und beherrscht“ verlangt, wird prüf- und messbar. Damit entsteht eine belastbare Basis für curricular-didaktische Innovation, rechtssichere Prüfungen und eine evidenzbasierte Weiterentwicklung des Berufs - anschlussfähig an Recht, Leitlinien und professionelle Selbstverantwortung (BMG, 2012; NotSan-APrV 2013/2021; SK Verlag, 2021; ). # 5 Kritik Das vorliegende Kapitel widmet sich der systematischen Analyse und Reflexion von Kritik an der Definition und Operationalisierung des Begriffs Beherrschen im Kontext der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung und -Prüfung. Dieses ist als integraler Bestandteil des Gesamtwerks zu verstehen, das die theoretische Fundierung, die praktische Anwendbarkeit und die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit des Konstrukts Beherrschen sicherstellt. Die antizipierten Kritikfelder sind Ausdruck der hohen Komplexität und der multiplen Rationalitäten, in die der Begriff Beherrschen eingebettet ist. Die vorgeschlagenen Reaktionsstrategien zielen darauf ab, berechtigte Einwände konstruktiv zu integrieren, ohne die normative Kohärenz und Anschlussfähigkeit an den Rechtsrahmen (NotSanG § 2a, NotSan-APrV § 17 Abs. 2) zu verlieren. Die systematische Dokumentation und Integration von Kritik in den Entwicklungszyklus der Bewertungsinstrumente, Rubrics und Audit-Trails (5.1, 4.2.7, 4.4.6) stellt die fortlaufende Qualitäts- und Professionalisierungsentwicklung sicher. ## 5.1 Zielsetzung des Kritik-Kapitels Das Kritik-Kapitel verfolgt zwei zentrale Zielsetzungen: Erstens soll ein systematisch strukturierter Raum eröffnet werden, in dem unterschiedliche Kritikperspektiven an der hier entwickelten Definition und Operationalisierung des Begriffs Beherrschen sichtbar gemacht werden. Zweitens dient dieses Kapitel als methodischer Mechanismus, um diese Kritik nicht nur zu dokumentieren, sondern gezielt in die Weiterentwicklung des Konstrukts und seiner Anwendung in Ausbildung und Prüfung zu integrieren. Kritik wird in diesem Kontext nicht als bloße Negation oder Opposition verstanden, sondern als Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Sinne eines reflexiven, lernenden Systems ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). Ausgangspunkt ist die Annahme, dass ein normativ wirksamer Begriff wie Beherrschen zwangsläufig auf unterschiedliche, teils konfligierende Erwartungshorizonte trifft: pädagogische, prüfmethodische, klinische, juristische, verwaltungspraktische. Diese Vielfalt ist nicht Ausdruck von Beliebigkeit, sondern notwendige Folge der hohen Systemkomplexität, in der der Begriff angewendet wird. Die Zielsetzung gliedert sich daher in drei operative Unterziele: 1. **Identifikation relevanter Kritikfelder:** Systematische Erfassung potenzieller Einwände und Perspektiven, die auf die theoretische Herleitung, die normative Setzung oder die praktische Implementierung der Definition zielen. Hierzu gehören sowohl konstruktive als auch systemisch bedingte, wiederkehrende Kritiklinien (SK Verlag, 2021). 2. **Differenzierung nach Kritikqualität:** Trennung zwischen substanzhaltiger, überprüfbarer Kritik (z.B. auf Basis empirischer Daten, rechtlicher Argumentation oder didaktischer Plausibilität) und Kritik, die primär aus positionsbezogenen oder machtstrategischen Motiven heraus erfolgt. Letztere wird zwar dokumentiert, aber nicht als inhaltliche Grundlage für Änderungen verwendet. 3. **Integration konstruktiver Kritik in den Entwicklungszyklus:** Entwicklung klarer Verfahren, wie substanzielle Kritik in den Änderungs- und Pflegeprozess der Definition, der Bewertungsinstrumente und der curricularen Anbindung einfließt. Dies umfasst Rückkopplungen in Qualitätszirkeln, Anpassung von kompetenzorientierten Leistungsanforderungen und Audit-Trails sowie die Einbettung in Schulungs- und Kalibrierungsformate. Durch diese Zielsetzung wird das Kritik-Kapitel zu einem aktiven Baustein der theoretischen und praktischen Weiterentwicklung und schützt die Kohärenz der normativen Setzung, ohne sie gegenüber berechtigter Anpassung zu immunisieren. Damit wird der Umgang mit Kritik für alle beteiligten Akteursgruppen selbst transparent, nachvollziehbar und anschlussfähig. ## 5.2 Kritikfelder und Reaktionsstrategien Die nachfolgende Analyse identifiziert zentrale, antizipierte Kritikfelder an Definition und Operationalisierung des Begriffs Beherrschen und skizziert strukturierte Reaktionsstrategien. Die Darstellung erfolgt multiperspektivisch, um die Komplexität des Gegenstands gerecht abzubilden. Bezugnahmen auf relevante Dokumentabschnitte (z.B. kompetenzorientierte Leistungsanforderungen, Audit-Trail, NotSanG § 2a, NotSan-APrV § 17 Abs. 2) und einschlägige Quellen sind integriert, um die Anschlussfähigkeit an bestehende Normen und wissenschaftliche Diskurse zu sichern. ### Kritikfeld 1: Pädagogische Reduktionismus- und Operationalisierungskritik **Kritikbeschreibung:** Aus bildungswissenschaftlicher Sicht wird häufig eingewandt, dass die Operationalisierung komplexer professioneller Handlungsfähigkeit auf prüfbare Einheiten (kompetenzorientierte Leistungsanforderungen, Indikatoren) eine Reduktion pädagogischer Prozesse auf beobachtbare Teilhandlungen bewirkt. Kritiker:innen argumentieren, dass dadurch reflexive, kreative und relationale Aspekte des professionellen Handelns unsichtbar oder unterbewertet bleiben ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). **Rationale:** Die Gefahr besteht, dass die Definition von Beherrschen als unteilbare Operation (Abschnitt 2.4, 3.1.1) zu einer Überbetonung von Standardisierbarkeit und Messbarkeit führt, während emergente, kontextabhängige Kompetenzen (z.B. situative Urteilskraft, ethische Dilemmabewältigung) in den Hintergrund treten. **Reaktionsstrategie:** Die kompetenzorientierten Leistungsanforderungen und Bewertungsinstrumente werden so gestaltet, dass sie nicht nur das beobachtbare Handeln, sondern explizit auch die Begründungs- und Reflexionsfähigkeit abbilden (siehe 3.1.2, 3.1.4). Die Pflicht zur Entscheidungsbegründung und die Integration von Reflexionsphasen (z.B. ISBAR (Gheisari et al., 2025) oder SINNHAFT (Gräff et al., 2024) Reflexion, Audit-Trail) adressieren diese Kritik, indem sie die reflexive Dimension zum expliziten Bewertungsgegenstand machen. Die Definition von Beherrschen bleibt damit dynamisch und anschlussfähig an die Prinzipien kompetenzorientierter Bildung ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). ### Kritikfeld 2: Juristische und rechtssicherheitsbezogene Kritik **Kritikbeschreibung:** Juristische Akteure monieren, dass die Operationalisierung von Beherrschen durch Rubrics, Indikatoren und Audit-Trail zwar die Nachvollziehbarkeit erhöht, aber weiterhin Interpretationsspielräume verbleiben, insbesondere bei Grenzfällen und Abweichungen von Standardpfaden (NotSanG § 2a; NotSan-APrV § 17 Abs. 2). **Rationale:** Im Widerspruchs- oder Klagefall könnte argumentiert werden, dass die Bewertungsmaßstäbe nicht hinreichend eindeutig oder einheitlich angewendet wurden. Die Gefahr der subjektiven Bewertung bleibt trotz Standardisierung bestehen. **Reaktionsstrategie:** Die Reaktionsstrategie sieht vor, die Bewertungsmaßstäbe transparent, vorab kommuniziert und in Rubrics mit Ankerbeispielen operationalisiert vorzuhalten (3.1.4, 3.1.5). Die Dokumentation jedes Prüfungsprozesses im Audit-Trail (Abschnitt 3.1.5) sowie die Begründungspflicht bei Abweichungen sichern die Nachvollziehbarkeit und erhöhen die Bestandskraft der Entscheidungen. Kalibrierungsmaßnahmen für Prüfende und die Trennung von Rolle und Bewertung (z.B. Praxisanleitung ≠ Prüfer:in) reduzieren systematische Verzerrungen und stärken die Rechtssicherheit (siehe 3.3). ### Kritikfeld 3: Klinisch-praktische Anschluss- und Validitätskritik **Kritikbeschreibung:** Aus klinischer Perspektive wird kritisch hinterfragt, ob die Definition und Operationalisierung von Beherrschen tatsächlich die Komplexität und Dynamik realer Einsatzsituationen abbildet. Hier besteht die Sorge, dass die Prüfungspraxis zu stark auf formalistische Nachweise und weniger auf tatsächliche klinische Wirksamkeit und Patient:innensicherheit ausgerichtet wird (SK Verlag, 2021). **Rationale:** Die Gefahr besteht, dass eine zu enge Kopplung an Rubrics und Szenarien die Adaptivität und Innovationsfähigkeit im Einsatz einschränkt und nicht alle, insbesondere seltene oder hochdynamische, Einsatzlagen angemessen abbildet. **Reaktionsstrategie:** Die Operationalisierung von Beherrschen erfolgt explizit über die Überwindung von Transformationsbarrieren in realen Einsatzkategorien (4.3.1-4.3.6). Re-Evaluation und Adaptivität sind als Kernindikatoren in allen sechs Prüfungsperspektiven verankert. Abweichungen von Standardpfaden werden nicht pauschal abgewertet, sondern müssen evidenzbasiert und patient:innensicher begründet werden (Audit-Trail, Abschnitt 3.1.5, 4.3.4). Die kontinuierliche Rückkopplung von Einsatzdaten in die Curriculums- und Prüfungsentwicklung (siehe 4.3.5) stellt die Praxisnähe und Validität sicher. ### Kritikfeld 4: Verwaltungspraktische und Implementierungskritik **Kritikbeschreibung:** Verwaltungs- und Schulträger kritisieren die erhöhte Komplexität und den vermeintlichen Mehraufwand, der durch die Einführung von Rubrics, Audit-Trails und Kalibrierungsformaten entsteht. Hier wird befürchtet, dass die Dokumentations- und Bewertungsanforderungen zu einer Überbürokratisierung führen und die Ressourcen der Einrichtungen überstrapazieren. **Rationale:** Die Einführung neuer Bewertungsinstrumente und Dokumentationsstandards erfordert personelle, zeitliche und technische Ressourcen, deren Bereitstellung nicht immer gesichert ist. Die Sorge vor zusätzlicher Bürokratie ist insbesondere in ressourcenknappen Kontexten virulent. **Reaktionsstrategie:** Die Reaktionsstrategie sieht eine schrittweise, priorisierte Implementierung vor (siehe 4.1.10, 4.4.6), die auf High-Impact-Formate fokussiert und digitale Tools zur Effizienzsteigerung nutzt. Der Audit-Trail ersetzt unsystematische Dokumentation durch strukturierte, rechtssichere Nachweise und reduziert so mittel- bis langfristig den Aufwand in Widerspruchs- und Klagefällen (4.1.12). Die Modularisierung der Bewertungsinstrumente erlaubt eine flexible Anpassung an die jeweiligen Ressourcenlagen. ### Kritikfeld 5: Praktisch-operative Kritik aus dem Feld **Kritikbeschreibung:** Anwender:innen im Feld, insbesondere Praxisanleitende und Notfallsanitäter:innen, äußern die Befürchtung, dass die Operationalisierung von Beherrschen zu einer Formalisierung und Standardisierung führt, die individuelle Professionalität, Erfahrungswissen und legitime Handlungsvarianten einschränkt. **Rationale:** Es besteht die Sorge, dass die Bewertung von Handlungen zu schematisch erfolgt und nicht ausreichend Raum für kontextuelle Besonderheiten, kreative Problemlösungen und abweichende, aber begründete Handlungswege lässt. **Reaktionsstrategie:** Die Bewertungslogik trennt explizit zwischen Zweck-Erfüllung (Zielrichtung) und Mittel-Beherrschung (Ausführungssicherheit) und bewertet die Operationseinheit, nicht das bloße Abarbeiten von Checklistenpunkten (3.1.4, 4.2.3). Abweichungen von Standardpfaden werden, sofern sie patient:innensicher und evidenzbasiert begründet sind, als Professionalitätsmarker anerkannt (Audit-Trail, 4.2.7). Die Integration von Reflexionsphasen und Peer-Review-Formaten (siehe 4.4.5) fördert die Sichtbarkeit und Anerkennung individueller Professionalität. ## 5.3 Umgang mit nicht-konstruktiver Kritik ### 5.3.1 Definition und Kontext „nicht-konstruktiver Kritik“ Im Rahmen dieser Arbeit wird unter „nicht-konstruktiver Kritik“ jede Form der Rückmeldung verstanden, die sich nicht auf überprüfbare Fakten, nachvollziehbare Argumentation oder belegbare Quellen stützt, sondern vorwiegend polemisch, emotionalisiert oder positionsbezogen auftritt. Typisch für nicht-konstruktive Kritik ist das Fehlen eines inhaltlichen Bezugs zur Sache, zur Operationalisierung des Begriffs Beherrschen oder zu dessen Anwendung in Ausbildung und Prüfung. Sie äußert sich etwa in pauschalen Ablehnungen, persönlichen Angriffen, unbelegten Behauptungen oder allgemeinen Ressentiments gegenüber normativen Setzungen, ohne konkrete Verbesserungs- oder Änderungsoptionen zu benennen (; SK Verlag, 2021). Diese Form der Kritik unterscheidet sich grundlegend von substanzhaltiger, konstruktiver Kritik, wie sie in Abschnitt 5.1.2 differenziert wurde. Während konstruktive Kritik auf die Weiterentwicklung des Konstrukts oder seiner Umsetzung abzielt und sich an überprüfbaren Kriterien orientiert, bleibt nicht-konstruktive Kritik methodisch unscharf und trägt nicht zur Qualitätsverbesserung oder zum Diskurs bei (siehe auch 5.1, 5.2). ### 5.3.2 Notwendigkeit eines methodisch abgesicherten Umgangs Ein methodisch abgesicherter Umgang mit nicht-konstruktiver Kritik ist aus mehreren Gründen notwendig: - **Ressourcenschonung:** Die systematische Bearbeitung unsachlicher oder nicht belegter Kritik bindet erhebliche personelle und zeitliche Ressourcen, ohne dass ein Mehrwert für die Weiterentwicklung des Konstrukts entsteht. - **Schutz der normativen Kohärenz:** Die wiederholte oder laute Artikulation nicht-konstruktiver Einwände kann die Kohärenz und Verbindlichkeit normativer Setzungen untergraben. Dies gefährdet die Anschlussfähigkeit an den Rechtsrahmen (NotSanG § 2a, NotSan-APrV § 17 Abs. 2) und die wissenschaftlich fundierte Entwicklung des Begriffs ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). - **Vermeidung von Schein-Debatten:** Eine klare Trennung zwischen konstruktiver und nicht-konstruktiver Kritik verhindert, dass der Entwicklungsprozess durch endlose, nicht zielführende Debatten blockiert oder intransparent wird (SK Verlag, 2021). ### 5.3.3 Systematisches Vorgehen im Umgang mit nicht-konstruktiver Kritik Das strukturierte Vorgehen im Umgang mit nicht-konstruktiver Kritik gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Schritte: 1. **Erkennung und Kategorisierung** - Nicht-konstruktive Kritik wird anhand klarer Kriterien von konstruktiver Kritik unterschieden. Hierzu gehören: Fehlen von Quellen, Argumenten und Bezug zur Sache; Vorliegen rein polemischer, persönlicher oder pauschalisierender Aussagen; keine Benennung konkreter Änderungs- oder Verbesserungsoptionen. - Die Kriterien orientieren sich an den in Abschnitt 5.1.2 dargestellten Qualitätsmerkmalen von Kritik (siehe auch 5.1, 5.2). 2. **Dokumentation ohne Eskalation** - Nicht-konstruktive Kritik wird sachlich und ohne Wertung im Kritikregister dokumentiert, d.h. keine unmittelbare Anpassung der Definition, der Bewertungsinstrumente oder der curricularen Anbindung auf Basis solcher Einwände erfolgt. - Die Dokumentation dient der Transparenz und Nachvollziehbarkeit, ohne dass eine inhaltliche Reaktion oder Eskalation erfolgt. 3. **Kommunikationsstrategie** - Für Rückmeldungen auf nicht-konstruktive Kritik werden standardisierte Antwortformate verwendet. Diese schaffen Transparenz über die Kriterien der Kritikbearbeitung, verweisen auf die bestehende Dokumentation und die methodischen Grundlagen (z.B. auf die Abschnitte 5.1, 5.2 und die einschlägigen Quellen). - Ziel ist es, unnötige Debatten zu vermeiden, die Ressourcen zu schonen und dennoch die Offenheit für konstruktive Beiträge zu signalisieren. Die Kommunikationsstrategie betont, dass nur substanzhaltige, überprüfbare Kritik in den Weiterentwicklungsprozess einfließt. ### 5.3.4 Hinweis zur Abgrenzung und Legitimität Dieses Vorgehen dient ausdrücklich **nicht** der Abwehr legitimer, substanzhaltiger Kritik. Vielmehr wird durch die Kanalisierung nicht-konstruktiver Beiträge sichergestellt, dass der Diskurs auf die Verbesserung des Konstrukts, seiner Operationalisierung und Umsetzung fokussiert bleibt. Legitime Kritik wird weiterhin systematisch erfasst, differenziert bewertet und in den Entwicklungszyklus integriert (5.1, 5.2). Die Trennung zwischen konstruktiver und nicht-konstruktiver Kritik ist ein zentrales Element der Qualitätssicherung, der Sicherung der normativen Kohärenz und der nachhaltigen Ressourcensteuerung im Entwicklungsprozess (SK Verlag, 2021). ## 5.4 Weiterentwicklung aus Kritik Im Folgenden wird ein strukturierter Ansatz zur systematischen Weiterentwicklung der Definition und Operationalisierung des Begriffs Beherrschen aus konstruktiver Kritik entwickelt. Ziel ist es, die theoretische Konsistenz und praktische Anwendbarkeit durch evidenzbasierte und nachvollziehbare Verbesserungen fortlaufend zu stärken. ### 5.4.1 Zielsetzung der Weiterentwicklung Die Weiterentwicklung aus Kritik verfolgt das Ziel, auf Basis kritischer Rückmeldungen gezielt evidenzbasierte und kohärente Anpassungen der Definition und ihrer Operationalisierung vorzunehmen. Dies dient dazu, sowohl die theoretische Fundierung als auch die praktische Anwendbarkeit kontinuierlich zu verbessern. Dabei steht die Sicherung der Anschlussfähigkeit an den Rechts- und Prüfungsrahmen im Vordergrund, ebenso wie die Förderung einer lernenden, adaptiven Entwicklungskultur ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). ### 5.4.2 Methodische Integration Der Prozess der methodischen Integration konstruktiver Kritik erfolgt in mehreren Schritten: **a) Sammlung der Kritik:** Alle eingehenden Rückmeldungen werden in einem zentralen Kritikregister erfasst. Dies umfasst sowohl interne als auch externe Quellen (z.B. Prüfende, Praxispartner, Auszubildende, Rechtsinstanzen). **b) Kategorisierung:** Die Kritik wird anhand der in den Abschnitten 5.1 und 5.2 entwickelten Kriterien systematisch kategorisiert: (1) Theoretisch-begriffliche Kritik, (2) Prüfmethodisch-empirische Kritik, (3) Praktisch-implementierungsbezogene Kritik, (4) Rechtlich-normative Kritik. **c) Priorisierung:** Die Einträge werden nach Relevanz, Evidenzbasis und Dringlichkeit priorisiert. Besonders berücksichtigt werden Rückmeldungen, die durch empirische Daten, rechtliche Gutachten oder nachgewiesene Praxisprobleme gestützt sind (SK Verlag, 2021). **d) Ableitung von Anpassungsvorschlägen:** Für priorisierte Kritikpunkte werden konkrete Anpassungsvorschläge entwickelt, die auf die Verbesserung der Definition, der Rubrics, der Indikatoren oder der Bewertungsinstrumente abzielen. Dabei wird transparent dokumentiert, welche empirischen oder normativen Grundlagen die vorgeschlagenen Änderungen stützen ([[Systemische Kompetenzentwicklung High Responsibility Teams]]). ### 5.4.3 Validierung vor Umsetzung Jede geplante Änderung durchläuft eine Validierung in einem interdisziplinären Qualitätszirkel, dem Vertreter:innen aus Schule, Praxis, Ärztlicher Leitung Rettungsdienst (ÄLRD) und - bei Bedarf - juristischem Beistand angehören. In diesem Gremium werden die Anpassungsvorschläge auf Kohärenz, Evidenzbezug, Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit geprüft. Die Validierung erfolgt unter Bezugnahme auf bestehende Audit-Trails und Rubrics, um die Anschlussfähigkeit an die bisherigen Standards sicherzustellen (NotSan-APrV § 17 Abs. 2; ). ### 5.4.4 Implementierungsschleifen Die Umsetzung erfolgt in iterativen Zyklen nach folgendem Muster: $ Pilotierung → Evaluation → Roll-out $ Zunächst werden Änderungen in ausgewählten Modulen oder Prüfungsformaten pilotiert. Die Evaluation basiert auf definierten Prozess- und Ergebnisindikatoren (z.B. Inter-Rater-Varianz, Akzeptanz, Nachvollziehbarkeit der Bewertung). Die Ergebnisse werden im Qualitätszirkel reflektiert und fließen in die Entscheidung über einen breiteren Roll-out ein. Dieser Ansatz ist an die in den Kapiteln 4.1.10 (Implementierungspfad) und 4.4.6 (Governance und Roll-out) dargelegten iterativen Entwicklungszyklen angelehnt (; SK Verlag, 2021). ### 5.4.5 Transparenz und Dokumentation Alle Änderungen werden versioniert und nachvollziehbar dokumentiert. Die Dokumentation umfasst: - die Begründung der Änderung, - die Quelle der Kritik (inkl. Evidenzbasis), - den Bezug zu empirischen Daten oder rechtlichen Anforderungen, - die Auswirkungen auf Rubrics, Bewertungsinstrumente und Curriculumentwicklung. Diese Änderungen werden systematisch in die Ausbildungs- und Prüfungsdokumente integriert und allen relevanten Akteursgruppen zugänglich gemacht. Die Versionierung schafft Transparenz und ermöglicht eine Rückverfolgung der Entwicklungsschritte (NotSan-APrV § 17 Abs. 2; ). ### 5.4.6 Beispielhafte Anwendung > [!warning] Die hier dargestellte Beispielstation dient der Veranschaulichung und ist nicht als vollständige Darstellung eines realen Einsatzszenarios zu verstehen. **Fallskizze:** Im Rahmen einer Evaluation meldeten mehrere Prüfer:innen zurück, dass die Gewichtung der Perspektive „Dokumentation“ in einer praktischen Prüfung zu gering ausfiel, wodurch relevante Entscheidungsbegründungen und Abweichungsbegründungen nicht ausreichend bewertet wurden. Diese Kritik wurde im Kritikregister dokumentiert und durch eine Analyse der Prüfungsprotokolle empirisch gestützt (niedrige Varianz bei Dokumentationsbewertungen, hohe Fehlerquote bei Entscheidungsbegründungen). Nach Kategorisierung und Priorisierung wurde im Qualitätszirkel ein Vorschlag zur Anpassung der Rubric-Anker für die Perspektive „Dokumentation“ entwickelt: Die Anker wurden so überarbeitet, dass Entscheidungs- und Abweichungsbegründungen explizit als Bewertungskriterium aufgenommen und differenziert gewichtet werden. Nach erfolgreicher Pilotierung und Evaluation wurde die Änderung versioniert dokumentiert und in die offiziellen Bewertungsbögen sowie die Schulungsunterlagen für Prüfende integriert. Dieser Prozess entspricht der evidenzbasierten Weiterentwicklung von Bewertungsinstrumenten ([[Disjunkte Lernort-Evaluation]]) sowie Curricula und ist anschlussfähig an die Vorgaben der NotSan-APrV § 17 Abs. 2. # 6 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit entwickelt eine umfassende, wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Definition sowie Operationalisierung des Begriffs Beherrschen im Kontext der Notfallsanitäter:innen-Ausbildung und -Prüfung. Ausgangspunkt ist die Analyse der begrifflichen Herkunft und der gesetzlichen Rahmung, insbesondere durch NotSanG § 2a und NotSan-APrV § 17 Abs. 2. Beherrschen wird als unteilbare, systemtheoretisch gefasste Operation verstanden, in der Unterscheidung, Analyse, Beurteilung und Ausführung simultan und untrennbar verschränkt auftreten und deren Kern die evidenzbasierte Überwindung von Transformationsbarrieren bildet. Die methodische Herleitung stützt sich auf die sechs in der NotSan-APrV definierten Prüfungsperspektiven, die als Beobachtungslinsen dienen. Diese Perspektiven ermöglichen somit, das Beherrschen als komplexe Operation in Ausbildung, Prüfung und Einsatz systematisch sichtbar, beobacht-, prüf- und dokumentierbar zu machen. Die Operationalisierung erfolgt über explizite Indikatoren, standardisierte Nachweisformen (z.B. OSCE/OSPE, strukturierte Fallvignetten, Audit-Trails) und ankergeführte Bewertungssysteme (Rubrics), wodurch eine hohe Vergleichbarkeit, Reliabilität und Rechtssicherheit gewährleistet wird. Die Arbeit zieht daraus weitreichende Folgerungen. Die präzise Definition von Beherrschen schließt eine zentrale pädagogische Leerstelle und überführt einen bislang unscharfen Rechtsbegriff in eine beobachtbare, kompetenzorientierte und curricular verankerbare Kategorie. Sie erhöht die Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit im Prüfungswesen, schafft einen verbindlichen Referenzrahmen für die curriculare Gestaltung und ermöglicht eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung. Die Standardisierung der Bewertungsmaßstäbe und die Kopplung an den Rechtsrahmen (NotSanG § 2a, NotSan-APrV § 17 Abs. 2) sichern die Nachvollziehbarkeit und Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen. Die Implikationen der Operationalisierung betreffen die gezielte Anpassung bestehender Curricula, die Entwicklung evidenzbasierter Bewertungsinstrumente, die Ausrichtung der Ausbildung an realen Einsatzanforderungen sowie die Förderung interdisziplinärer Anschlussfähigkeit zwischen Pädagogik, Medizin, Recht und Verwaltung. Die Arbeit zeigt, dass die konsequente Orientierung an den gesetzlichen Vorgaben und die Integration empirischer Daten ein lernfähiges System schaffen, das curricular-didaktische Innovation, rechtssichere Prüfungen und eine evidenzbasierte Weiterentwicklung des Berufsbildes Notfallsanitäter:in ermöglicht. Im Umgang mit Kritik werden systematisch unterschiedliche Perspektiven (pädagogisch, rechtlich, klinisch, verwaltungspraktisch, operativ) analysiert und konstruktiv in den Entwicklungsprozess integriert. Die Arbeit legt dar, wie substanzhaltige Kritik gezielt zur Weiterentwicklung der Definition, der Bewertungsinstrumente und der curricularen Anbindung genutzt wird, während nicht-konstruktive Kritik ressourcenschonend dokumentiert, aber nicht inhaltlich berücksichtigt wird. Durch diesen reflexiven, iterativen Ansatz wird die Anschlussfähigkeit an den Rechtsrahmen und die wissenschaftliche Fundierung fortlaufend gesichert. Die Arbeit bietet eine tragfähige, empirisch und normativ abgesicherte Grundlage für die Ausbildung, Prüfung und [[Professionalisierung]] im Berufsbild Notfallsanitäter:in, die sowohl den gesetzlichen Anforderungen als auch den Erfordernissen moderner [[Kompetenzentwicklung]] entspricht. In früheren Reflexionen, etwa im Podcast [[Beherrschen beherrschen]], wurde die Unschärfe des Begriffs kritisch hervorgehoben. Die hier entwickelte Fassung erlaubt demnach, diese Kritik zu revidieren und den Begriff auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage sowohl theoretisch als auch prüfmethodisch belastbar zu fassen. Sie leistet damit einen substantiellen Beitrag zur theoretischen Klärung, zur praktischen Umsetzbarkeit und zur nachhaltigen Qualitätsentwicklung im rettungsdienstlichen Bildungssystem. # Quelle(n) - Bundesministerium für Gesundheit. (2012). Referentenentwurf: Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Bundesministerium für Gesundheit. - Bundesministerium für Gesundheit. (2013). Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters (NotSanG). BGBl. I S. 1348. - Bundesministerium für Gesundheit. (2021). Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (NotSan-APrV). BGBl. I S. 3126. - Dudenredaktion. (2020). *Duden: Deutsches Universalwörterbuch* (9. Aufl.). Dudenverlag. - Gheisari, F., Farzi, S., Tarrahi, M. J., Momeni-Ghaleghasemi, T., Farzi, S., Nazari, F., & Riahi, R. T. (2025). The effect of an ISBAR-based clinical supervision model during handover on clinical decision-making and self-efficacy of nursing internship students: A quasi-experimental study. _BMC Medical Education_, _25_(1), 815. https://doi.org/10.1186/s12909-025-07426-x - Gräff, I., Ehlers, P., & Schacher, S. (2024). SINNHAFT – die Merkhilfe für die standardisierte Übergabe in der zentralen Notaufnahme. _Notfall + Rettungsmedizin_, _27_(1), 19–24. https://doi.org/10.1007/s10049-023-01167-4 - International Organization for Standardization. (2015). *ISO 9001:2015 Quality management systems — Requirements*. https://www.iso.org/standard/62085.html - Kluge, F. (2011). *Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache* (25. Aufl.). De Gruyter. - Lincoln, Y. S., & Guba, E. G. (1985). *Naturalistic inquiry*. Sage Publications. - Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW. (2025). *Handlungsempfehlungen des Landesverbandes der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst in NRW: Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfade im Rettungsdienst 2025*. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW. - Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013, BGBl. I S. 1348, zuletzt geändert am 22. Dezember 2020, BGBl. I S. 3320. https://www.bgbl.de/ - NotSan-APrV vom 16. Dezember 2013, BGBl. I S. 4280, zuletzt geändert am 20. Juli 2021, BGBl. I S. 3126. https://www.bgbl.de/ - Pfeifer, W. (1993). *Etymologisches Wörterbuch des Deutschen*. Akademie Verlag. - Popham, W. J. (1997). What's wrong—and what's right—with rubrics. *Educational Leadership, 55*(2), 72-75. - Schnäbelin, B. (2025, 11. August). *Handlungsempfehlungen des Landesverbandes der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst in NRW: Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfade im Rettungsdienst 2025* [Erlass an BezReg Arnsberg, BezReg Detmold, BezReg Düsseldorf, BezReg Köln, BezReg Münster, Träger des Rettungsdienstes, Rettungsdienstschulen in NRW, Kommunalen Spitzenverbände, & Landesverband der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst NRW]. - Stumpf + Kossendey Verlagsgesellschaft mbH & Ralf Tries. (2021, Februar 2). Was bedeutet „beherrschen“ in § 2a NotSanG? Ein Kommentar zur sicheren Handlungskompetenz. Kommentar. https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/was-bedeutet-beherrschen-in-2a-notsang.html --- #NotSanG #NotSan-APrV #Beherrschen #Kompetenzorientierung #Prüfung #Operationalisierung #OSCE #OSPE #Szenarienmethode #Rettungsdienst #Audit-Trail